Sie verachten den Tod verachten und fürchten das Leben: Wie junge Muslime zu Dschihadisten werden. Ihr Hass ist Teil einer neuen Jugendbewegung
Die Anschläge von Paris erinnern an Amokläufe. Die Attentäter, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“, waren „junge Gotteskrieger“, die Restaurants attackierten und in den Konzertsaal Bataclan eindrangen, „um andere junge Menschen in die Hölle zu schicken“. Junge Täter, junge Opfer. Doch anders als bei einem Highschool-Amoklauf mit einem oder zwei Tätern war in Paris gleich eine ganze Gruppe als Killerkommando unterwegs, ihre Aktionen waren perfekt durchchoreografiert. Als Chefplaner der Morde fungierte wohl Abdelhamid Abaaoud, der meistgesuchte Islamist Belgiens. Es ging darum, möglichst viele Opfer gleichzeitig zu treffen. 129 Menschen starben.
Fanatismus braucht keine Zweifel
Woher kommt der Hass? Wurden die jungen Muslime zu Mördern, weil sie der Armut nicht entkamen, sich deklassiert fühlten? Ist der Terror eher ein Krieg der Klassen als der Religionen? Müßige Fragen. Antworten darauf wird man kaum finden. „Wir fürchten den Tod nicht, sagen die Dschihadisten, um ihre Überlegenheit zu beweisen“, konstatiert der Pariser Schriftsteller Pascal Bruckner in der „Neuen Züricher Zeitung“. „Indessen fürchten sie das Leben.“ Wer Angst hat vor dem Leben, dem fällt es nicht schwer, einen Sprengstoffgürtel zu zünden. „Sie töten uns nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind“, sagt Bruckner. „Unser Verbrechen ist, dass wir existieren; unsere Schuld, dass wir in freien Gesellschaften leben, wo Gleichberechtigung herrscht.“
Gerade ihre Jugendlichkeit macht die Täter so gefährlich. Ihr Fanatismus kennt keine Zweifel. Der selbst ernannte „Islamische Staat“ (IS) sei „zu einem beträchtlichen Teil eine Protestbewegung von Jugendlichen“, schreibt die österreichische Journalistin Petra Ramsauer in ihrem soeben erschienenen Buch „Die Dschihad-Generation“ (Styria Verlag). Terror ist zur Popkultur geworden, deren Ohrwürmer sind die sogenannten Nashids, a cappella gesungene Lobpreisungen Allahs und des Krieges. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in den „Heiligen Krieg“ ziehen, den Dschihad, so Ramsauer, haben oft Probleme mit ihren strengen, in den westlichen Gesellschaften niemals richtig angekommenen Vätern, und häufig sind sie sexuell frustriert.
Jungfrauen für Tapferkeit
Der IS verschafft ihnen andere, vermeintlich verständnisvollere Autoritäten und stellt als Preis für Tapferkeit himmlische Jungfrauen in Aussicht. Die Teenager bekommen Waffen, auf Fotos posieren sie mit Maschinengewehren, die mitunter – sagt der gemäßigte britische Iman Alyas Karmani – „wie eine Penisverlängerung“ aussehen. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort wären richtungslose junge Männer wie die Pariser Selbstmordattentäter Ismaïl Omar Mostefaï oder Samy Amimour vielleicht Grufties oder Heavy-Metal-Fanatiker geworden.
Zur Pop-These passt, dass die Rekrutierung von Kriegern nicht nur an einschlägig bekannten Moscheen und anderen Treffpunkten, sondern auch in den sozialen Netzwerken stattfindet. Sympathisanten geraten, laut Ramsauer, „in die Zange aus Online- und Offlinegehirnwäsche“. Das IS-Territorium im Irak und in Syrien ist die Akademie, in der die militärische Ausbildung stattfindet. Ein West Point in der Wüste. Seit 2011 sollen sich 7000 junge Leute aus Europa den Dschihadisten angeschlossen haben, ein Zehntel davon waren Frauen. Ihr schwarzes Banner ist die Flagge eines überlebensgroßen nihilistischen Hasses.
Dazu einige Leserbriefe zum Artikel im Tagesspiegel:
Islamistischen Terror gibt es seit Jahrhunderten
Den Terror als Jugendbewegung zu bezeichnen, halte ich für eine besondere Form der Verharmlosung.
Ebenso, wie immer so zu tun, als ginge es um "unsere" Jugendlichen. Was ja wirklich nur zu einem vergleichsweise kleinem Teil richtig ist.
Und, in welcher "Jugendbewegung" der letzten Jahre musste man zunächst Mitglied einer bestimmten Religion sein?
Islamistischer Fanatismus ist so alt wie der Islam selbst.
Das sollte man bei allen missglückten Erklärungsversuchen nicht übersehen.
Sprachgebrauch
Nicht nur "Jugendbewegung" ist in diesem Zusammenhang fragwürdig, sondern auch dass die Anschläge von Paris als "perfekt
durchchoreografierte Aktionen" bezeichnet werden.
Es mag sachlich richtig sein, sogar bei Verbrechen das Adjektiv
"perfekt" zu verwenden (z. B. der perfekte Mord), dennoch hat das immer einen unangenehmen Beigeschmack für jeden, der "perfekt" als etwas Gutes EMPFINDET.
Auch "Gotteskrieger" lehne ich in diesem Zusammenhang ab und erst recht "Islamischer Staat". Letztere Bezeichnung ist eine Beleidigung sowohl des Islams als auch der Idee "Staat". Wenn ich mich sprachlich darauf beziehen muss, scheint mir als Kompromiss lediglich "IS" geeignet zu sein.
Schwerwiegender ist jedoch die Verwendung des Begriffs "Choreografie" ("durchchoreografierte Aktionen"), da "Ch." sich in erster Linie auf Bewegungsabläufe künstlerischer oder sportlicher Art, insbesondere Tanz, bezieht.
Es wäre unproblematisch, bei der Beschreibung einer künstlerischen Darstellungen von Gewalt und Terror, z. B. auf einer Opern-Bühne oder im Film, den Begriff "Choreografie" zu verwenden. Zur Beschreibung von konkret ausgeführtem Terror ist er jedoch gänzlich ungeeignet! Dadurch werden Terror und Kunst zusammen gedacht und Terror wird indirekt aufgewertet!
Verharmlosung
Und wieder das Märchen von den Jugendlichen, die der Armut entfliehen wollten. Die meisten muslimischen Terroristen, die in den ganzen letzten Jahren in westlichen Ländern (einschließlich die Messerstecher in Israel) Terrorakte begangen haben, stammten aus armen Verhältnissen, sondern meistens aus der gebildeten Mittelschicht.
Mit diesem Artikel wird nur wieder das Problem verharmlost, nach dem Motto: Naja, das ist halt grad "in". Wartet nur etwas, dann wird was anderes modern. Stulpen häkeln, oder so.
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