Die Aufregung rund um das Boateng-Zitat des AfD-Politikers Alexander Gauland in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) hat mittlerweile fast Böhmermann-Erdogan'sche Dimensionen erreicht. Immerhin hat sich auch schon die Kanzlerin geäußert („niederträchtig"). Aber hat Gauland wirklich den deutschen Fußball-Nationalspieler Jerome Boateng beleidigt? Und wie seriös ist eigentlich die FAS?
In einem Hintergrundgespräch hat AfD-Politiker Alexander Gauland zu den beiden FAS-Journalisten Eckart Lohse und Markus Wehner also ungefähr Folgendes gesagt: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben."
Das Zitat findet sich in einem Stück in der jüngsten FAS mit der Überschrift „Betrifft: Abendland", in dem es um das Verhältnis der AfD zur Religion im Allgemeinen und zum Christentum im Speziellen geht. Weil das Zitat so überaus griffig, ja geradezu brisant ist, hat die Redaktion daraus für die Titelseite noch einmal eine eigene Story gebastelt. Überschrift hier: „Gauland beleidigt Boateng." Dazu kamen sie bei der FAS gleich noch auf die Idee, Reporter nach München-Grünwald zu entsenden und die Nachbarn von Jerome Boateng zu befragen, wie der denn als Nachbar so ist. Die Antworten waren vorhersehbar: „nett und auf dem Boden geblieben", „er ist ganz normal". Eine Tankstellen-Mitarbeiterin aus der Gegend gab der FAS zu Protokoll, Boateng „ganz cool" zu finden. Außerdem – Überraschung! – betankt Boateng dort sein Auto und lässt es dort auch – bitte festhalten – reparieren! Wer hätte so etwas für möglich gehalten!? Die FAS hat sogar recherchiert, dass ein WG-Portal, als Boateng noch im Münchner Stadtteil Bogenhausen wohnte, mit der Nähe zu seiner Wohnung warb. Noch einmal zur Erinnerung: Das alles stand in der Titelstory der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, einer Zeitung, die für sich in einem Werbespruch reklamiert, dass dahinter immer „ein kluger Kopf" stecke.
Dass die FAS-Redaktion noch vor der Veröffentlichung die Nachbarschaft von Jerome Boateng durchkämmte, zeigt deutlich wie sehr man sich dort der Brisanz des Zitats bewusst war. Hei, das wird einen Wirbel geben. Man erinnere sich nur daran, was das für eine schöne PR für den Mannheimer Morgen war, als AfD-Chefin Frauke Petry dort ihr unsägliches Zitat abließ, dass man im Notfall an der Grenze „von der Schusswaffe Gebrauch" machen könne. Und jetzt hatte die FAS auch mal so ein AfD-Krawall-Zitat. Das wollte man offenbar genüsslich ausschlachten und breitwalzen. Das AfD-Selbst-Entlarvungszitat ist mittlerweile so etwas wie ein gelerntes Narrativ in den Medien.
Gauland tat der FAS im Anschluss den Gefallen, auch noch so richtig Petry- und von-Storch-mäßig herumzueiern. Er könne sich nicht erinnern, ob er das so gesagt hat. Er wisse nicht, wer den Namen Boateng ins Spiel gebracht hat. Er wisse mittlerweile auch dass Boateng ein schlechtes Beispiel war, usw. Einer der so reagiert, der ist doch ertappt. Oder nicht?
Die Empörungsmaschine lief erwartungsgemäß heiß, von Tagesschau, über Facebook, einem DFB-Solidaritätsvideo, dem eigenen Hashtag bis zu den Comedy-Einspielern der Frühstücksradios. Überall war der Nachbar Boateng Thema Nummer eins. Immerhin steht ja auch die EM vor der Tür.
Die FAS konterte Gaulands schwache Rechtfertigungsversuche mit der Erklärung, das Zitat sei „aufgezeichnet" worden, was sogleich eine neue Flut an Berichterstattung nach sich zog. Wobei „aufgezeichnet" hier nicht meint, dass es einen Audio-Mitschnitt gibt, sondern dass die beiden FAS-Männer das fragliche Zitat in ihre Blöcke notiert haben, wie Eckart Lohse gegenüber dem Deutschlandfunk sagte. Lohse vergisst nicht zu erwähnen, dass der Raum, in dem das so schlimme Zitat gefallen war, „gut beleuchtet" gewesen sei. Offenbar ein wichtiges Detail, um den Vorwurf einer gewissen der Schummrigkeit geschuldeten Unschärfe im Keim zu ersticken.
Wie kann man sich den Hergang also vorstellen? Ungefähr so: Alexander Gauland hat mit den beiden FAS-Journalisten ein so genanntes Hintergrundgespräch geführt, das rund eineinhalb Stunden dauerte. Laut FAS-Redakteur Lohse haben er oder sein Kollege den Namen Boateng von sich aus ins Spiel gebracht. Zitat aus dem Deutschlandfunk-Interview mit Lohse:
Wir haben ihn gefragt bei dem Thema „Fremd sein in Deutschland und Integration", wie es denn mit Herrn Boateng zum Beispiel sei, und dann hat er die Antwort gegeben, die er gegeben hat und die wir veröffentlicht haben. So banal war der ganze Ablauf.
Ja, so banal war das. Denn auf die Frage wie es denn beim Thema Fremd sein in Deutschland und Integration mit Herrn Boateng beispielsweise sei, hat Gauland dann diesen Satz gesagt: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben."
Dass er den Satz so oder so ähnlich gesagt hat, das wird wohl stimmen, das bestreitet Gauland auch gar nicht. Aber der Satz ist genau genommen ja gar keine Beleidigung Boatengs, sondern nur eine Aussage über Alltags-Rassismus, wie er in Deutschland durchaus vorkommen mag. Gauland greift den Namen des dunkelhäutigen Fußballers Boateng wie von den FAS-Redakteuren eingeführt beispielhaft für einen dunkelhäutigen Menschen auf („einen Boateng"). In einer Rundmail an die AfD-Mitglieder schrieb Gauland aktuell:
Streng genommen habe ich nicht Herrn Boateng beleidigt, sondern diejenigen, die vielleicht nicht in seiner Nachbarschaft leben wollen, wenn er nicht ein berühmter Fußballstar wäre.
Da hat er recht, der Herr Gauland. So und nicht anders, ist sein Zitat zu verstehen. Das hat die FAS-Redaktion aber nicht gejuckt. Stattdessen wurden Reporter nach München-Grünwald entsandt, um Boatengs Nachbarn und einer Tankstellen-Mitarbeiterin sinnentleerte Quatsch-Zitate zu entlocken. Das sind Methoden, die man früher der Bild-Zeitung zugeschrieben hätte.
Da es sich zudem um ein Hintergrund-Gespräch gehandelt hat und den Redakteuren die enorme Brisanz des Zitats offensichtlich sehr bewusst war, wäre es ein Gebot der Fairness gewesen, dieses spezielle Zitat noch einmal zur Autorisierung vorzulegen. Wahrscheinlich hätte Gauland das dann aber nicht autorisiert und die FAS hätte nicht ihren Anti-AfD-Aufreger auf dem Titel gehabt. Solche Methoden sorgen dafür, dass die AfD weiter an Zuspruch in der Bevölkerung gewinnen wird.
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