Mittwoch, 22. Juni 2016

Zwei Morde in ihrer politischen Sicht

Eine Labour-Politikerin wird auf offener Straße ermordet, in Frankreich ein Polizistenehepaar getötet. Es ist seltsam, wie unterschiedlich die Politik mit diesen Taten umgeht.

Am 16.06.2016 wurde die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße ermordet. In Großbritannien wurde deshalb der Wahlkampf für das EU-Referendum unterbrochen. In den Beiträgen der verschiedenen Medien ist man sich noch unsicher, wie man den Täter einschätzen soll, welche Motive er haben könnte. Ist er psychisch krank, oder hat er eventuell rassistische Ansichten vertreten? Die „FAZ" titelt:

„Tatverdächtiger soll an Neonazis gespendet haben."[1]

Cox hatte für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben. Ein Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum könnte vorhanden sein:

„Der Sender Sky News berichtete unter Berufung auf einen Augenzeugen, der Angreifer habe ,Großbritannien zuerst' und ,Vorrang für das Vereinigte Königreich' gerufen. ,Großbritannien zuerst', beziehungsweise ,Britain First', ist  auch der Name einer rechtsradikalen Partei."

Die Schuld relativieren?

Es ist demnach nicht auszuschließen, dass der Mann auch aus rechtsradikalen Überzeugungen heraus die Politikerin attackiert und getötet hat. Der Tod der zweifachen Mutter ist entsetzlich und sinnlos, trotzdem soll in diesem Beitrag ein Vergleich angestellt werden, weil entsetzliche Taten sogenannter „Einzeltäter" sich offenbar in letzter Zeit häufen.

Man stelle sich vor, ein deutscher Politiker würde nach dieser Tat in Großbritannien oder nach einer ähnlichen Tat eines überzeugten Rechtsextremisten in Deutschland die Behauptung aufstellen,

„dass eine solche Radikalisierung keine Frage der politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten radikalen Gruppe sei. Es gehe um dieses sich komplett ausgeschlossen Fühlen auch in der Gesellschaft, nicht dazugehörig zu sein, so einen starken Hass auch auf die Gesellschaft, dass man bereit sei, dann zu Waffen zu greifen und sich zu radikalisieren".[2]

Es ist klar: würde jemand auch nur ansatzweise versuchen, einen von Rechtsextremisten verübten Mord derart skandalös zu relativieren bzw. die Schuld vor allem in den mangelhaften gesellschaftlichen Zuständen zu sehen, würde das – absolut zurecht – ins politische und gesellschaftliche Abseits führen. Mainstream und unabhängiges Internet wären sich in nie gekannter Weise einig.

Gehen wir etwas in der Zeit zurück. Am Montagabend, dem 13. Juni 2016, ermordete im französischen Magnanville ein Franzose arabischer Abstammung brutal einen französischen Polizisten und dessen Ehefrau:

„Larossi Abballa hatte im Ort Magnanville rund 55 Kilometer von Paris entfernt einen Kriminalkommissar vor dessen Haustür mit mehreren Messerstichen tödlich verletzt. Danach drang er in das Haus seines Opfer sein, wo er dessen Frau und Kind als Geiseln nahm. Eine Spezialeinheit der französischen Polizei verhandelte mehrere Stunden erfolglos mit dem Attentäter. Schließlich stürmte sie die Wohnung (…), berichtet ARD-Korrespondentin Kerstin Gallmeyer im DLF. Um 0:49 Uhr meldete die Polizei via Twitter, dass der Einsatz beendet sei.
Bei der Polizeiaktion wurde der Angreifer erschossen. In der Wohnung entdeckten die Beamten die Leiche der Frau. Sie hatte im französischen Innenministerium gearbeitet. Das dreijährige Kind des Paares wurde unverletzt geborgen, stand aber unter Schock."[3]

IS-Bekenntnis ignoriert

Der Täter bekannte sich offen zur Terrormiliz IS. Mit Bezug auf diese Tat kam es dann zu einem Interview im Deutschlandfunk mit der grünen Politikerin Franziska Brantner (Mitglied des Bundestags, Mitglied und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe), aus dem die oben zitierte fiktive Äußerung zu einer Tat von Rechtsradikalen nur leicht verändert und unter Auslassung des religiösen Bezugs entnommen wurde:

„Das zeigt ganz klar, dass es nicht nur eine Frage der Migration ist, auch nicht eine Frage der Religion oder Religionszugehörigkeit, sondern dieses sich komplett ausgeschlossen fühlen auch in der Gesellschaft, nicht dazugehörig zu sein, so einen starken Hass auch auf die Gesellschaft, dass man bereit ist, dann zu Waffen zu greifen und sich zu radikalisieren."[4]

Das war ein Teil der Antwort auf die Frage, welche Auswirkung dieser Mordfall auf die Diskussion in Frankreich haben würde, wobei sich Interviewer und Interviewte einig sind, dass der Täter keinen Migrationshintergrund habe, da er ja französischer Bürger und in Frankreich geboren sei. Deshalb habe die Mordtat nichts mit Religion oder mit Migration zu tun. Dass der Täter Moslem ist, sich zur Terrormiliz IS bekannt hat, wird einfach beiseitegeschoben.

Bezeichnend ist auch die Hilflosigkeit der Politikerin gegenüber einer Entwicklung, die sie aufgrund ihrer Analyse zu keinem Zeitpunkt als religiöses oder kulturelles Problem ansehen will:

„Wir haben jetzt heute Morgen auch gehört, dass der Täter schon mal verurteilt wurde aufgrund von terroristischen Taten. Das ist natürlich noch mal sehr hart jetzt in Frankreich, dass man das Gefühl hat, man kannte ihn schon, er war sogar schon verurteilt, und das stellt natürlich diese Frage in den Raum, was macht man denn mit diesen Menschen, wenn sie einmal so radikalisiert sind. Wie schafft man die Deradikalisierung und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft? Ich glaube, da stehen alle Europäer noch am Anfang und fragen sich, wie gehen wir damit um, was sind gute Wege. Man weiß, dass das Gefängnis de facto die Menschen meistens eher noch weiter radikalisiert, statt sie zu integrieren in die Gesellschaft. Was ist der richtige Umgang? – Ich glaube, das sind die Fragen, die sich gerade viele Franzosen stellen: Was macht man."

Zweierlei Maß

In diesem Interview, das im DLF in voller Länge abgedruckt wurde, gibt es keine einzige konkrete Äußerung der Politikerin zum Leid der Opfer und der Hinterbliebenen. Wäre es nicht selbstverständlich, sich auch dazu zu äußern, auch wenn man nicht dezidiert im Interview dazu aufgefordert wird?

Eine seltsame und erschreckende Kälte geht von diesem Text aus, in dem eine Politikerin den Täter im Grunde zum Opfer der Gesellschaft macht. Der Doppelmord in Magnanville wird – anders kann man diese Äußerungen nicht interpretieren – in erster Linie als ein Versagen des Staates und der Gesellschaft gesehen. Der Täter selbst wird aus der Verantwortung entlassen und damit jede Möglichkeit von Vornherein unterbunden, kritische Fragen an ihn und seine Religion zu stellen, in deren Namen er nachweislich gehandelt hat.

Wenn man aber die gesellschaftlichen Zustände in diesem Fall als wahre Ursache ansieht, stellt sich die Frage, warum man es in anderen Bezügen nicht machen will.

Es wird eben mit zweierlei Maß gemessen, weil man eine Kritik am real existierenden Islam vermeiden will. Kritische Fragen an jegliche religiösen Überzeugungen zu stellen, ist das Erbe der europäischen Aufklärung, damit werden keine Religion und keine religiöse Gruppe pauschal verurteilt. In Deutschland wird offenbar diesbezüglich die Uhr zurückgedreht. Es gibt zurzeit Vorgänge (siehe auch die Inzucht-Äußerungen unseres aktuellen Finanzministers), die machen einen als Bürger zunehmend nur noch ratlos.

Quelle: http://www.geolitico.de/2016/06/22/zwei-morde-in-ihrer-politischen-sicht/

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