Donnerstag, 22. Oktober 2015

Australien, Kanada oder doch Costa Rica? Nehmen die mich überhaupt?

Nach den Flüchtlingsgipfeln von Regierung, EU und ARD bleibt für den unbedarften Zeitungsleser nur eine Frage offen: Australien, Kanada oder doch Costa Rica? Nehmen die einen wie mich überhaupt? Auch Portugal oder Polen sind schön aber die Sprachen so schwer zu lernen. Spätestens seit Jakob Augstein und Heribert Prantl die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als moralisch vorbildlich preisen, denken Menschen, die noch was im Leben vorhaben, öfter mal ans Koffer packen. Ich hänge an Kreuzberg. Der Sommer war schön. Aber wer weiß wie oft der unbeschwerte Berliner Sommer noch wieder kommt.

Höchstens Intellektuelle können den Schlamassel noch eine Weile ignorieren und gewichtig darüber debattieren, wie wir Menschen in Arbeit bringen, Parallelgesellschaften verhindern und – ganz wichtig - die Zustände in den Herkunftsländern verbessern. Das nämlich geht so: Schritt 1. Verschlechterung der Zustände in unserem Herkunftsland. Eine Frage der Gerechtigkeit. Schritt 2 und 3. Mehr Geld vom Bund. Es ist von großer Wichtigkeit für die steuerzahlenden Bürger ob Bund, Land oder Kommune ihre Euros umverteilen. Schritt 4: Merkel spricht mal wieder mit Assad und Putin. Und mit Zuckerberg. Was macht der eigentlich den ganzen Tag? Schritt 5. Journalisten und Politiker überbieten sich gegenseitig im Verfassen pädagogisch wertvoller Grußbotschaften inklusive Gratis-Belehrungen über unsere supermoderne Werteordnung. Alles zusammen ergibt die perfekte Simulation von Souveränität. Feuchte Träume eines Impotenten.

So lange Deutschland mit freundlicher Willkommenskultur Karma-Punkte sammelt und nicht mal versucht, die deutschen oder europäischen Grenzen zu sichern, fehlt allen schlauen Ideen zu Integration, Einwanderungsgesetzen und europäischen Lösungen die berechenbare Grundlage. Es gibt keine menschlich oder moralisch gute Lösung in der Flüchtlingskrise mehr. Wir können nur noch die Notbremse ziehen und retten, was zu retten ist. Aber über Grenzen und ihre dem Überleben eines Gemeinwesens manchmal nicht ganz unzuträgliche Funktion spricht man in Deutschland gar nicht erst, sondern lieber von Menschlichkeit und Solidarität. Bis nichts mehr davon übrig ist.

Frau Merkel ist heute wohl die einzige Regierungschefin in Europa, die eine Flüchtlingspolitik im weitgehenden Einklang mit den linksliberalen Eliten aus Kultur, Medien und Universitäten betreibt. Die wichtigen Journalisten, kritischen Denker und angesagten Kreativen sprechen ihren Namen seit diesem Sommer mit mehr Respekt aus. Für diese Vorstellung hätten die Deutschen auch Claudia Roth oder Margot Käßmann ins Kanzleramt wählen können.

Oft ist zu lesen, das politische Koordinatensystem habe sich nach links verschoben und Merkel sei mit ihrer CDU von konservativen Positionen abgerückt. Leider ist es viel schlimmer. Der politische Mainstream ist heute nicht unbedingt linker als vor dreißig oder vierzig Jahren. Er ist nur sehr viel grüner. Kein Mensch liest heute Marx oder Lenin. Aber alle denken mit dem Herzen.

Indianerweisheiten und Kalendersprüche bilden den politischen Kanon der neuen Mitte. Wozu sind Kriege da? Kein Mensch ist illegal. Jedes Kind ist hochbegabt. Wir sind reich weil sie arm sind. Erst wenn der letzte Baum gerodet ist… 

Die Sozialdemokraten der 60er und 70er hatten nichts gegen ein starkes Deutschland. Sie wollten nur für ihre Klientel einen möglichst großen Anteil vom Kuchen. Erst die Grünen erklärten unseren Wohlstand und unsere Art zu Leben zur Sünde, von der nur sie uns die Absolution erteilen könnten. Auf einmal standen die Deutschen für alle möglichen Menschheitsverbrechen gegen Mutter Erde, die Armen, die Frauen, Afrikaner, Palästinenser und später noch entdeckten geborenen Opfern in der Kreide. Unsere spezifische historische Verantwortung für den Staat Israel und den Frieden in Europa deuteten sie in eine Bringschuld gegenüber allen Benachteiligten um, für die sie sich gerade stark machen.

In einem reichen Land, in dem junge Menschen in der Schule nicht viel mehr über ihr eigenes Land lernen als sein dunkelstes Kapitel, konnten die Grünen mit ihren Quatschideen bis in die bräsige Mitte der Gesellschaft durchmarschieren ohne einen Beitrag zur Lösung irgendeines echten Problems geleistet zu haben. Es sieht im Augenblick nicht danach aus, dass sich Deutschland davon noch einmal erholen wird.

Die Grünen als Partei wirken heute nur deshalb so hemmungslos überflüssig weil alle im Bundestag vertretenen Parteien grüne Rhetorik und Programmatik in Brechreiz erregendem Ausmaß übernommen haben. Ok, es liegt auch ein wenig an Hofreiter. Aber dennoch: Die CDU wickelt Kernenergie, Bürgerarmee und neuerdings die staatliche Ordnung ab. Die Sozialdemokraten bauen den Industriestaat zurück. Die FDP will Cannabis legalisieren und bekämpft mit German Mut die AfD. Wer sich gegen den politisch korrekten grünen Mainstream stellt, gilt in jeder Partei als Störenfried, siehe Oswald Metzger oder Thilo Sarrazin. Wer die manchmal gar nicht so politisch korrekte Wirklichkeit heute nicht mit Wohlfühlworten vernebelt, qualifiziert sich als geistiger Brandstifter.

Die deutsche Willkommenskultur unter Schirmherrschaft der Kanzlerin war die XXL-Mainstreamversion grüner Gesellschaftsromantik. Sie wird XXL-Mainstream-Konsequenzen haben. Sie steht exemplarisch für eine Politik, die es allen recht machen will und daran scheitert, dass sie ständig neue Ansprüche produziert, die sie nicht erfüllen kann.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass unsere Kultur so nostalgiebesoffen ist und wir jeden übrig gebliebenen Rocker der 60er und 70er als Botschafter einer besseren weil hoffnungsvolleren Zeit verehren. Vielleicht feiern die jungen Leute aus der ganzen Welt, die jedes Jahr zum saufen und kiffen nach Berlin kommen, einfach nur die große Abrissparty. Vielleicht geht es uns schon zu lange zu gut. Die Freiheit von Todesangst und Existenznöten erscheint vielen so selbstverständlich wie ein Ehepartner, neben dem sie seit Jahrzehnten aufwachen. Es ist normal, dass er da ist. Man muss sich nicht täglich, um ihn bemühen oder gar kämpfen. Oft genug ist man seiner sogar überdrüssig und malt sich ein wilderes und freieres Leben aus. Bis man eines Morgens aufwacht und der Platz im Bett neben einem ist leer. 


Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.

Quelle: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/australien_kanada_oder_doch_costa_rica_nehmen_die_mich_ueberhaupt

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