Dienstag, 27. Oktober 2015

Zur Flüchtlingskrise: Gott hilft nicht - weder der noch der ...

   Je größer die Aufregung, desto mehr steigt auch die Neigung zu Übertreibungen.  Ihren Amtseid habe Angela Merkel durch die Öffnung der Grenzen verletzt, lese ich derzeit häufig in den sozialen Medien. Der Satz vom Wohle des deutschen Volkes, den es zu mehren gelte, und vom Schaden, den man abzuwenden hätte, wird mit dieser Behauptung inhaltlich vergewaltigt. Denn man setzt “Islam” mit “Schaden” gleich. Beschwört wird das Bild von Horden gewaltbereiter, fundamentalistisch ideologisierter muslimischer junger Männer, die uns überrollen. Die zunächst unseren Wohlstand aufzehren, bevor sie uns die Freiheit nehmen.

Da kommt mir die ehemalige Kollegin in den Sinn, die vor einigen Monaten die Chance für einen beruflichen Aufstieg nutzte und dazu bei einem anderen Unternehmen anheuerte. Sie ist Türkin. Oder besser gesagt: „Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund“. Mich betrifft eigentlich nicht, was in ihrem Ausweis steht, wo sie geboren wurde und welches Land sie als Heimat ansieht. Ich bin Deutscher. Was ja auch niemanden außer mir betrifft oder betreffen sollte.
Die Ex-Kollegin versteckt ihre Attraktivität nicht unter einem Kopftuch oder hinter einem Schleier. Sie ist Akademikerin. Hat irgendwas mit Marketing gelernt und beherrscht mehrere Sprachen. Auch hat sie bislang während der Arbeitszeit – zumindest soweit ich das mitbekommen habe – noch nie einen Teppich herausgeholt und sich gen Mekka verbeugt. Obwohl sie sich – Achtung, jetzt kommt der Knackpunkt – als gläubige Muslima versteht. 
Sie isst kein Schweinefleisch. Sie nimmt nicht einmal Rindfleisch zu sich, wenn es (wie im Grillrestaurant einmal geschehen) auf einem gemeinsamen Teller mit Schweinefleisch serviert wird. Denn dann ist nach ihrer Meinung auch das Rindfleisch kontaminiert. Womit genau, konnte sie mir nicht erklären. Der Prophet hat es so bestimmt, es steht im Koran und damit basta. Ob sie wohl eine mögliche Düngung von Brotgetreide mit Schweinegülle auch berücksichtigt? So tief ging unser diesbezüglicher Austausch nicht. Ich wollte sie nicht durch bohrendes Nachhaken beleidigen. In Deutschland gilt Religionsfreiheit. Nicht nur der Staat hat auf diesem Auge zu erblinden, sondern jeder Bürger.
Tatsächlich aber reißen viele Menschen zurzeit die Augen ganz weit auf und starren mit Angst, Wut und Entsetzen auf die vielen Muslime, die zumindest vorübergehend, wenn nicht für immer auch bei uns leben wollen. Warum eigentlich? Manche Moschee ist mit ihren Kuppeln und Türmchen doch hübsch anzusehen. Die heilige Sophia hat nach 1453 architektonisch durchaus gewonnen. Der Muezzin ruft hierzulande auch nur von wenigen Minaretten eher selten zum Gebet. Wo es erlaubt wurde, ist es sehr leise, denn anderes verbieten diverse Lärmschutzverordnungen. Wenn diese im Sinne der Gleichbehandlung auch auf das Läuten von Kirchenglocken angewendet würden, ich würde es begrüßen. Ginge es nach mir, würden Ausrufer und Glocken gleichermaßen verstummen.
Wer sich hingegen nur zum Gebet nach Mekka verbeugt, dem Alkohol und dem Schweinefleisch entsagt oder auch den Ramadan einhält, der stört mich im Gegensatz zum vermeidbaren Lärm nicht in meiner Lebensgestaltung. Es soll doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Das wäre ein Deutschland, in dem ich mir zu leben wünsche. Ein Land, in dem jeder jedem Aberglauben anhängen kann. Solange er dabei niemanden beeinträchtigt. Solange eben feststeht: Aberglaube ist Privatsache, die nur im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der aus ihr abgeleiteten Gesetze ausgelebt werden darf.
Wenn man sich darauf verständigen könnte, dann wäre ein wichtiger Schritt getan. Wer hier leben will, hat sich unseren Regeln zu unterwerfen. Von der Schulpflicht mit allem, was dazugehört, ob Klassenfahrt, ob Schwimm- oder ob Sexualkundeunterricht, darf man niemanden ausnehmen, keine christliche Sekte und auch keinen strenggläubigen Moslem. Eine Vorschrift, nach der Frauen beim Baden einen Bikini zu tragen hätten, gibt es jedoch nicht. Es mag die Nonne ihre Tracht als Ausdruck ihrer Haltung verstehen, soll sie doch damit herumlaufen, wie es ihr gefällt. Das Kopftuch haben wir dann aber ebenfalls zu akzeptieren. Die Burka dagegen hätte ihren Platz nur im Karneval, in dem eine Vermummung eben nicht als Indiz für böse Hintergedanken gesehen wird.
Auch ist niemand gezwungen, Schweinefleisch zu verzehren. Manche mögen es vielleicht einfach nicht. Manche sehen ihre Abstinenz vielleicht auch als politische Botschaft. Wer aber kein Schweinefleisch zu sich nimmt, weil der Prophet es so sagte, der handelt albern. Können Albernheiten unser Gemeinwesen gefährden?
Die anfangs beschriebene Ex-Kollegin ist aufgeklärt, hat Abitur, hat studiert. Trotzdem hält sie sich an ein Gebot, das zu mittelalterlichen Zeiten einmal sinnvoll gewesen sein mag. Wenn es eben im Klima der arabischen Halbinsel im Frühmittelalter keine Möglichkeit gab, Schweinefleisch ohne gefährliche Keime zu produzieren und zu lagern, dann hat man es auch besser nicht verzehrt.
Die großen religiösen Schriften bestehen zu einem großen Teil aus solchen Anweisungen und Anleitungen, die den Zusammenhalt und die Resilienz einer vorindustriellen Gesellschaft sichern sollten. In der man einer überwiegend nicht alphabetisierten Bevölkerung diese Grundregeln nur mittels einer respektierten Priesterschaft von der Kanzel herab predigen konnte. Göttliche Offenbarung steckt nicht dahinter, sondern nur Realpolitik. Der Männerverbrauch in den zahlreichen blutigen Schlachten Mohammeds und seiner Nachfolger hat beispielsweise die Vielweiberei als soziale Maßnahme zur Absicherung der Witwen und Waisen schlicht notwendig werden lassen. Polygamie ist übrigens auch im Hier und Jetzt gestattet. Man darf nur nicht mehr als einen Partner heiraten.

Wer dagegen glaubt, mittelalterlichen Regeln in der heutigen Zeit noch wortwörtlich folgen zu müssen, an dem ist die Aufklärung folgenlos vorbeigezogen.Aber wird man deswegen gleich zu einem potentiellen Selbstmordattentäter?

Man kann Angela Merkel in der Flüchtlingskrise vieles vorwerfen. Mir persönlich ist ein Satz aufgestoßen, der bislang zu selten thematisiert wurde, obwohl ihn prominente Protagonisten wie Margot Käßmann und Katrin Göring-Eckardt dankbar aufgegriffen und wiederholt haben. Wer Angst habe vor dem Islam, so der Ratschlag, der solle halt wieder mehr in die Kirche gehen.
Wer sich vor fundamentalistischen Strömungen im Islam fürchtet, weil diese illiberalen, menschenverachtenden und voraufklärerischenThesen anhängen und diese auch noch gewalttätig durchsetzen wollen, der also bekämpfe am besten den einen Aberglauben mit dem anderen?
Auch das Christentum ist nicht frei von dummen Ideen. Jungfräuliche Geburt? Auferstehung von den Toten? Wunder außerhalb der durch die physikalische Struktur des Kosmos gegebenen Optionen? Wenn wir im Westen die blutigen und totalitären Zeiten einer sich als tragendes Element eines Staatswesens verstehenden Religion hinter uns gelassen haben, dann nicht, weil wir glücklicherweise alle Christen waren und keine Moslems. Sondern weil wir es durch Wissenschaft und Technologie, durch die Eröffnung neuer Blickwinkel und Perspektiven auf die Welt und auf den Menschen geschafft haben, das Christentum von seinem Thron zu stoßen. Wir sind heute nicht deswegen den Despotien der arabischen Welt zivilisatorisch voraus, weil das Christentum der bessere Glaube ist. Sondern weil wir aufgehört haben, uns über den Glauben zu definieren. Zumindest weitgehend.
Die Integration der Flüchtlinge aus islamischen Kulturkreisen gelingt nur, wenn wir ihnen einen säkularen und pluralen Staat vorleben, der weltliche Freiheiten gegen religiöse Beschränkungen verteidigt und durchsetzt. Manches wird man erzwingen müssen. Vieles aber wird von den Menschen sicher auch bereitwillig und dankbar aufgenommen. Wer aus Kriegsgebieten zu uns kommt, in denen sich verschiedene Kulte aus spiritueller Uneinigkeit die Köpfe einschlagen, für den ist heidnischer Hedonismus eine Wohltat. Gebt ihnen Sex, Drugs und Rock’n Roll, gebt ihnen Hollywood, die Fußball-Bundesliga und meinetwegen sogar Vince Ebert. Irgendwann haben die keine Lust mehr auf Moscheen, bärtige Prediger und Ramadan. Oder kennen Sie einen heimischen Katholiken, der sich noch streng an die Fastenzeit hält? Ich nicht.

Auf keinen Fall aber darf man die hier schon lebenden Muslime und die nun zu uns kommenden in einen kreuzzüglerischen Wettbewerb um die bessere Religion treiben. Ein aufgeklärter, moderner Islam ist schlicht nicht möglich, ein aufgeklärtes und modernes Christentum aber auch nicht. Jede Religion fußt auf überkommenen Vorstellungen und esoterischen Ritualen. Die können sie nicht aufgeben, die Priester und Imame, ohne die Rechtfertigung für ihr Tun zu verlieren. Ein Deutschland, in dem ein Wettbewerb um die Besucherzahlen in Kirchen und Moscheen tobt, wäre ein gescheitertes Deutschland. Die Integration ist dann vollendet, wenn die Menschen lieber auf Schalke gehen, denn ins Gotteshaus. Für manche ist das ja auch schon heute gleichrangig.

Meine Ex-Kollegin ist ethnische Türkin und Muslimin. Ich bin ein eingeborener Atheist. Beide aber sind wir kulturell gesehen Deutsche. Weil dies für uns nicht mit einem religiösen Bekenntnis, sondern mit einer liberalen Lebenseinstellung verbunden ist. In der niemand gezwungen wird, etwas aufzugeben, aber jeder die Möglichkeit bekommt, etwas hinzuzugewinnen.

Das Problem der Kanzlerin ist nicht eine Verletzung ihres Amtseides. Eine solche ließe sich ohnehin erst mit einem großen zeitlichen Abstand feststellen. Das Problem der Kanzlerin ist die Formel, mit der sie ihren Eid beendete: So wahr mir Gott helfe. Genau daran scheint sie sich zu klammern, wenn sie formelhaft beschwört, wir würden das schon schaffen. Dabei hat sie ganz allein einen Weg aus dem Schlamassel zu weisen, in den sie Deutschland gebracht hat. Weder helfen ihr ein nicht spezifizierbares „wir“, noch ein Jesus, der alle Mühseligen und Beladenen zu sich nimmt, noch dessen transzendierter Vater im Himmel. Von Allah und seinem Propheten kann sie auch nichts erwarten.

Nein, liebe Frau Bundeskanzlerin, Gott hilft nicht. Er hat auch noch nie geholfen. Gottes Wirken ist, da Gegenstand menschlicher Phantasie, ziemlich häufig ziemlich kontraproduktiv. Dies wäre meine erste Botschaft an alle Flüchtlinge: Wer kommt, hat sich nicht an ein christlich/jüdisches Abendland anzupassen. Vielmehr darf er jede religiöse Vorschrift ignorieren, die ihm nicht gefällt.

Quelle: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/zur_fluechtlingskrise_gott_hilft_nicht_weder_der_noch_der

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