Es ist nicht einmal ein Jahr her, als unmittelbar nach dem brutalen islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ eine emotionale Diskussion über die Zukunft unserer freien Gesellschaft geführt wurde. Ab sofort war jeder „Charlie“, Satire durfte alles (sogar beleidigen) und viele zeigten im Rahmen von Demonstrationen, dass sie für die freie Meinungsäußerung aufzustehen und zu kämpfen bereit waren. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Pariser Täter mitten in unserer, der westlichen Gesellschaft aufgewachsen sind, wurde bisweilen darauf hingewiesen, dass der wehrhafte Staat gegen die Bildung von Parallelgesellschaften in jedem Fall konsequent vorgehen müsse. Common Sense war, rechtsfreie Räume wie bei der „Scharia-Polizei“ nicht zu dulden.
Die Frage drängte sich besonders in dieser Situation auf: Was tun wir eigentlich dem Opfer an, wenn wir aus Rücksicht auf eine mutmaßlich moralisch „schwierige“ Situation sein berechtigtes Anliegen nach einer Aufklärung der schrecklichen Tat hintanstellen? Was ist unsere hohe Moral dann tatsächlich wert, wenn sie die Solidarität mit dem Opfer vermissen lässt? Geht von dieser Begebenheit nicht das fatale Signal aus, dass in unserer Willkommenskultur Straftaten eher gesellschaftlich hinzunehmen sind, wenn sie von fremd aussehenden Menschen verübt werden?
Aus der Gießener Erstaufnahmeeinrichtung hören wir unter anderem von Frauenverbänden, dass Zwangsprostitution sowie Vergewaltigungen von Frauen und Kindern ausdrücklich keine Einzelfälle seien. Die zuständigen Behörden erkennen mit dem Hinweis auf eine „wahrscheinlich“ hohe Dunkelziffer darin aber „kein herausragendes Phänomen“. Ein wirklich bemerkenswerter Satz, denn das bedeutet wohl, dass missbrauchte Frauen und Kinder zum Bestandteil einer ganz normalen, zu akzeptierenden kulturellen Eigenheit degradiert werden. Wenn wir feststellen müssen, dass sich selbst staatliche Organe – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr imstande sehen, Recht gegenüber jedermann zu jeder Zeit wirkungsvoll durchzusetzen, dann verliert der Rechtsstaat sein Fundament.
Nach Angaben von Arbeitsministerin Andrea Nahles sind über 90 Prozent der Asylbegehrenden, die derzeit nach Deutschland kommen, nicht direkt in den Arbeitsmarkt integrierbar. Es liegt auf der Hand, dass die Kombination aus mangelnder Aussicht auf Teilhabe in unserer Gesellschaft einerseits und einem anderen weltanschaulichen und religiösen Erfahrungshintergrund andererseits nicht dazu führen wird, dass sich (die bisher schon bestehenden) Parallelgesellschaften in der Bundesrepublik verkleinern oder zahlenmäßig reduzieren. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil.
Jetzt können wir uns über diese Aussicht beklagen und die Hände falten – oder wir können versuchen, diesem Umstand durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen. Wie das Bundesverfassungsgericht einst zutreffend festgestellt hat, gibt es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Dem muss die Politik Rechnung tragen. Und da hilft es definitiv nicht, wenn wir Integrationsprobleme verschweigen – denn dann würden wir uns auch verbieten, über deren Lösung nachzudenken.
„Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze ist keine Nazi-Forderung“
Für uns ist eine Selbstverständlichkeit, dass in unserem Land Unterdrückung von und Gewalt gegen Frauen, Antisemitismus sowie Homophobie keinen Platz haben. In einigen Ländern, aus denen aktuell viele Flüchtlinge kommen, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir den Asylbegehrenden frühzeitig durch verpflichtende Integrationskurse unser Weltbild, unsere Sprache und unser Rechtssystem vermitteln und deutlich machen, dass Übertretungen unserer Regeln entsprechend sanktioniert werden. Wenn wir aus einer falsch verstandenen Gutmütigkeit diese Regeln relativieren, werden wir rasch die Diffusion des Rechtsstaates und unserer freien Gesellschaft miterleben.
Es vergiftet die offene und vorurteilsfreie Debatte, wenn das Ansprechen von Problemen unterbleiben soll, damit den Rechtsradikalen nicht Vorschub geleistet wird. Vielmehr ist die Verhinderung einer offenen Diskussion über Schwierigkeiten mit der Integration von derzeit etwa einer Million Menschen pro Jahr der Humus, auf dem die tumben Parolen des braunen Mobs erst gedeihen können. Somit ist es letztlich ein Einknicken vor den Rechten, sollten wir uns aus Angst vor einer entsprechenden Reaktion ein Schweigegelübde auferlegen.
Kanzlerin Merkel hat in einem sehr interessanten Anfall von Ungebremstheit all jenen, die sich nicht einer „Wir schaffen das“-Euphorie angeschlossen haben, zu verstehen gegeben, dass sie nicht zu „ihrem“ Land gehören. Ich möchte entgegnen: Wenn wir uns über die Höhe der Gutwilligkeit, die wir gegenüber Flüchtlingen aufzubringen haben, ernsthaft streiten wollen und dabei im Zweifel unsere Rechtsgrundlagen zu verlassen gedenken, dann wäre das nicht mehr „mein“ Land.
Ganz abgesehen von der Gut-versus-Böse-Argumentation, die oft den politischen Diskurs bestimmt, sollte für alle Demokraten unstrittig sein, dass die Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze keine Nazi-Forderung ist, es ist eine Bedingung unserer Freiheit.
Quelle: http://www.handelsblatt.com
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