Der #ausnahmslos-Aufruf umstellt die realen Ereignisse mit Denk- und Sprechverboten. Er will die Realität mit seinem postkolonialen und Gender-Diskurs aber auch gar nicht beschreiben, sondern zurichten. Politiker sind entzückt.
Liest man den Dreck, der auf Twitter zum #ausnahmslos-Aufruf veröffentlicht wird, möchte man den Autorinnen fast zustimmen. Aber das ist das Einzigartige an dieser Debatte. Sie ist von so viel Sprechverboten und Drohgebärden eingegrenzt, dass es kaum noch möglich ist, Position zu beziehen. Der Selberdenkende fühlt sich sozusagen allseitig angetanzt. Der Aufruf verdient nicht den Dreck, mit dem er beworfen wird, aber sehr wohl eine elaborierte Gegenposition.
Und dies vor allem deshalb, weil er selbst zu jenen Dokumenten gehört, die den freien Blick auf die Geschehnisse einschränken wollen.
Der Aufruf erklärt zwar seine Solidarität mit jenen, um die es eigentlich gehen sollte: die Frauen, die in Köln sexuell belästigt wurden - aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Forderung nach Sprechverboten, die die Debatte lenken sollen. Er offenbart zugleich in nuce den innersten Widerspruch jener Post- und Gender-Diskurse, die noch die letzte Differenz zur "Kultur" erheben, die zu respektieren wäre, und die zugleich den Namen bestimmter Differenzen nicht aussprechen wollen.
Sie unterstellen in ihrer bizarr und bürokratisch anmutenden Gender-Terminologie, dass von den Opfern nur gesprochen werde, weil es sich um "(vermeintlich) weiße Cis-Frauen" handele, wobei das "Cis" zur Erklärung für Ignoranten noch mit einer Fußnote versehen wird. Welcher Identität die Täter sind, soll dagegen möglichst nicht ausgesprochen werden, denn "es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert" werden. Zwar konzedieren die Autorinnen (irgendeine von ihnen wird darauf beharrt haben), dass "soziokulturelle und weltanschauliche Ursachen von Gewalt" benannt werden sollen - aber diese Formulierung steht wie eine Insel im Meer der Ablehnung genau dieser Forderung.
Der Rest des Textes will die Identität der Täter verunklaren, weil "sexualisierte Gewalt nicht 'islamisiert' werden darf" und weil "reißerische und stigmatisierende Deutungen" zu unterbleiben haben. Man soll das Offensichtliche - es waren zumeist nordafrikanische oder arabische Männer, und sie haben sich in eine Weise zusammengerottet, wie man es hierzulande nicht einmal vom Oktoberfest kennt - nicht mehr benennen können.
Diese Verunklarung hat zur logischen Konsequenz, dass sich der Aufruf von den spezifischen Opfern dieses spezifischen Ereignisses distanziert. Die "(vermeintlich) weiße Cis-Frauen", die an diesem Abend die meisten Opfer stellten, werden gleich im zweiten Satz des Aufrufs unter ganz und gar allgemeine Forderungen nach einem verschärften Sexualstrafrecht untergepflügt. Der #ausnahmslos-Text weicht von vornherein aus ins schlecht Allgemeine. "Quasi in Sekundenschnelle schwenkt dieser Text vom Konkreten auf das Allgemeine um", schreibt Ursula Scheer in der FAZ. Das Kölner Ereignis ist für die Autorinnen nur ein Detail in einem Riesenpanorama der Unterdrückung von Cis- und allen anderen Frauen und allen jenen Kategorien, die in ihrem Koordinatensystem einen Platz haben
Es ist die Krux von Post- und Genderdiskursen, dass sie einerseits noch die speziellsten Identitätsformen zur "Kultur" sanktuarisieren, die stets von einem "Safe Space" des "Respekts" zu umgeben sei, dass sie aber andererseits die Wirkkraft von Kulturen leugnen, sobald diese gegen das Allgemeine ausschlagen. Dass die jungen Nordafrikaner die Frauen in der Weise belästigt haben, wie sie es taten, ist für die Autorinnen alles andere als kulturell geprägt - hier gilt auf einmal das soziale Argument. Nicht die Kultur macht sie böse, sondern die Tatsache, dass der weiße Mann sie unterdrückt. Und dass manche Medien es anders beschreiben, liegt selbstverständlich an den "männlich, heterosexuell und weiß dominierten Chefredaktionen".
Diese Argumentationsfigur borgen sich die Autorinnen aus der klassischen Linken. Die "Unterdrückten" sind demnach willenlose Bündel der Marktkräfte, die allenfalls zu sich kommen, wenn der Kapitalismus abgeschafft wird, auch wenn es so keiner mehr ernstlich fordert. In altehrwürdiger Plattheit findet sich das Argument bei Claus Leggewie in der taz: "Was nordafrikanische Jugendliche übers Mittelmeer getrieben hat, ist uns jahrzehntelang gleichgültig gewesen. Doch wer weltweit wachsende Ungleichheit zulässt, kündigt den Gesellschaftsvertrag von oben und bekommt die Quittung in sozialer Anomie." Die Täter sind die Opfer, und wir haben sie dazu gemacht. Und die Frauen sind der Nebenwiderspruch in dieser langen Kette an Folgerungen.
Es ist ein Kennzeichen des Antirassismus, dass er sich die Muster des erklärten Feindes zu eigen macht. Pascal Bruckners Formel vom "Rassismus des Antirassismus", die er in der Islam-Debatte von 2006 prägte, trifft zu. Der Antirassismus ist jene Schule der Linken, die im "weißen Mann" die einzig agierende Kraft der Geschichte sieht. Alle anderen sind nicht nur exkulpiert, es wird ihnen im Grunde die Fähigkeit zu einem Handeln aus eigenem Impuls abgesprochen. Im Extremfall führt ein solcher Diskurs zur Ideologie der "Indigènes de la Républiques", die sich als Nachfahren von Sklaven gerieren und Reparation fordern. In einer Figur wie Dieudonné verschmilzt diese Ideologie mit Rechtsextremismus und Holocaustleugnung.
Auch in weniger extremen Formen schert sich der Antirassismus, gerade in seiner neumodischen postkolonialen und Gender-Ausprägung, kaum um seine Widersprüche. Was er nicht denken kann, ist Interaktion, Mischung, gegenseitige Beeinflussung. Eine Geschichte der Sklaverei, in der die Sklaven der islamischen Länder oder der innerafrikanische Sklavenhandel zur Sprache käme, ist für diese Schule nicht zu imaginieren. Auch dass sie viele Muslime und Homosexuelle kaum in den selben "Safe Space" stecken könnte, stört sie kaum. Und für bestimmte Gruppen - etwa die Ex-Muslime - hält sie gar keinen Safe Space bereit, sondern allenfalls einen Panikraum.
Fast unheimlicher aber ist, dass dieser Aufruf den Antirassismus über den Antisexismus stellt. Es fällt ohnehin auf, dass in den jüngsten Volten dieses Diskurses oft die Frauen die Gelackmeierten waren, während Männer sich neue Räume eroberten: Bruce Jenner wurde gefeiert, als er sich als Caitlyn outete, Rachel Dolezal verpönt, als sie sich als schwarz bekannte. Und über aller Begeisterung über die Homoehe in Irland wird vergessen, wie es dort um Abtreibung steht. Und natürlich das Kopftuch, das um jeden Preis verteidigt werden muss.
Es geht dieser Schule nicht darum, die Realitäten zu beschreiben, sondern sie zuzurichten - über Sprachregelungen und Denkverbote. Und da die Gendertheorien meist an Universitäten blühen, geht es nicht selten auch um Stellenzuschnitte und institutionellen Einfluss. Darum reagieren Politikerinnen wie Renate Künast, Manuela Schwesig oder Heiko Maas so unreflektiert positiv auf den #ausnahmlos-Aufruf. Eine Kopftuchträgerin, die sich als Feministin ausgibt und Unvereinbares scheinbar vereinbart: Das ist einfach zu entzückend. Lieber falschen Konsens als echten Dissens. Von Dissidenz ganz zu schweigen.
Thierry Chervel
Und dies vor allem deshalb, weil er selbst zu jenen Dokumenten gehört, die den freien Blick auf die Geschehnisse einschränken wollen.
Der Aufruf erklärt zwar seine Solidarität mit jenen, um die es eigentlich gehen sollte: die Frauen, die in Köln sexuell belästigt wurden - aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Forderung nach Sprechverboten, die die Debatte lenken sollen. Er offenbart zugleich in nuce den innersten Widerspruch jener Post- und Gender-Diskurse, die noch die letzte Differenz zur "Kultur" erheben, die zu respektieren wäre, und die zugleich den Namen bestimmter Differenzen nicht aussprechen wollen.
Sie unterstellen in ihrer bizarr und bürokratisch anmutenden Gender-Terminologie, dass von den Opfern nur gesprochen werde, weil es sich um "(vermeintlich) weiße Cis-Frauen" handele, wobei das "Cis" zur Erklärung für Ignoranten noch mit einer Fußnote versehen wird. Welcher Identität die Täter sind, soll dagegen möglichst nicht ausgesprochen werden, denn "es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert" werden. Zwar konzedieren die Autorinnen (irgendeine von ihnen wird darauf beharrt haben), dass "soziokulturelle und weltanschauliche Ursachen von Gewalt" benannt werden sollen - aber diese Formulierung steht wie eine Insel im Meer der Ablehnung genau dieser Forderung.
Der Rest des Textes will die Identität der Täter verunklaren, weil "sexualisierte Gewalt nicht 'islamisiert' werden darf" und weil "reißerische und stigmatisierende Deutungen" zu unterbleiben haben. Man soll das Offensichtliche - es waren zumeist nordafrikanische oder arabische Männer, und sie haben sich in eine Weise zusammengerottet, wie man es hierzulande nicht einmal vom Oktoberfest kennt - nicht mehr benennen können.
Diese Verunklarung hat zur logischen Konsequenz, dass sich der Aufruf von den spezifischen Opfern dieses spezifischen Ereignisses distanziert. Die "(vermeintlich) weiße Cis-Frauen", die an diesem Abend die meisten Opfer stellten, werden gleich im zweiten Satz des Aufrufs unter ganz und gar allgemeine Forderungen nach einem verschärften Sexualstrafrecht untergepflügt. Der #ausnahmslos-Text weicht von vornherein aus ins schlecht Allgemeine. "Quasi in Sekundenschnelle schwenkt dieser Text vom Konkreten auf das Allgemeine um", schreibt Ursula Scheer in der FAZ. Das Kölner Ereignis ist für die Autorinnen nur ein Detail in einem Riesenpanorama der Unterdrückung von Cis- und allen anderen Frauen und allen jenen Kategorien, die in ihrem Koordinatensystem einen Platz haben
Es ist die Krux von Post- und Genderdiskursen, dass sie einerseits noch die speziellsten Identitätsformen zur "Kultur" sanktuarisieren, die stets von einem "Safe Space" des "Respekts" zu umgeben sei, dass sie aber andererseits die Wirkkraft von Kulturen leugnen, sobald diese gegen das Allgemeine ausschlagen. Dass die jungen Nordafrikaner die Frauen in der Weise belästigt haben, wie sie es taten, ist für die Autorinnen alles andere als kulturell geprägt - hier gilt auf einmal das soziale Argument. Nicht die Kultur macht sie böse, sondern die Tatsache, dass der weiße Mann sie unterdrückt. Und dass manche Medien es anders beschreiben, liegt selbstverständlich an den "männlich, heterosexuell und weiß dominierten Chefredaktionen".
Diese Argumentationsfigur borgen sich die Autorinnen aus der klassischen Linken. Die "Unterdrückten" sind demnach willenlose Bündel der Marktkräfte, die allenfalls zu sich kommen, wenn der Kapitalismus abgeschafft wird, auch wenn es so keiner mehr ernstlich fordert. In altehrwürdiger Plattheit findet sich das Argument bei Claus Leggewie in der taz: "Was nordafrikanische Jugendliche übers Mittelmeer getrieben hat, ist uns jahrzehntelang gleichgültig gewesen. Doch wer weltweit wachsende Ungleichheit zulässt, kündigt den Gesellschaftsvertrag von oben und bekommt die Quittung in sozialer Anomie." Die Täter sind die Opfer, und wir haben sie dazu gemacht. Und die Frauen sind der Nebenwiderspruch in dieser langen Kette an Folgerungen.
Es ist ein Kennzeichen des Antirassismus, dass er sich die Muster des erklärten Feindes zu eigen macht. Pascal Bruckners Formel vom "Rassismus des Antirassismus", die er in der Islam-Debatte von 2006 prägte, trifft zu. Der Antirassismus ist jene Schule der Linken, die im "weißen Mann" die einzig agierende Kraft der Geschichte sieht. Alle anderen sind nicht nur exkulpiert, es wird ihnen im Grunde die Fähigkeit zu einem Handeln aus eigenem Impuls abgesprochen. Im Extremfall führt ein solcher Diskurs zur Ideologie der "Indigènes de la Républiques", die sich als Nachfahren von Sklaven gerieren und Reparation fordern. In einer Figur wie Dieudonné verschmilzt diese Ideologie mit Rechtsextremismus und Holocaustleugnung.
Auch in weniger extremen Formen schert sich der Antirassismus, gerade in seiner neumodischen postkolonialen und Gender-Ausprägung, kaum um seine Widersprüche. Was er nicht denken kann, ist Interaktion, Mischung, gegenseitige Beeinflussung. Eine Geschichte der Sklaverei, in der die Sklaven der islamischen Länder oder der innerafrikanische Sklavenhandel zur Sprache käme, ist für diese Schule nicht zu imaginieren. Auch dass sie viele Muslime und Homosexuelle kaum in den selben "Safe Space" stecken könnte, stört sie kaum. Und für bestimmte Gruppen - etwa die Ex-Muslime - hält sie gar keinen Safe Space bereit, sondern allenfalls einen Panikraum.
Fast unheimlicher aber ist, dass dieser Aufruf den Antirassismus über den Antisexismus stellt. Es fällt ohnehin auf, dass in den jüngsten Volten dieses Diskurses oft die Frauen die Gelackmeierten waren, während Männer sich neue Räume eroberten: Bruce Jenner wurde gefeiert, als er sich als Caitlyn outete, Rachel Dolezal verpönt, als sie sich als schwarz bekannte. Und über aller Begeisterung über die Homoehe in Irland wird vergessen, wie es dort um Abtreibung steht. Und natürlich das Kopftuch, das um jeden Preis verteidigt werden muss.
Es geht dieser Schule nicht darum, die Realitäten zu beschreiben, sondern sie zuzurichten - über Sprachregelungen und Denkverbote. Und da die Gendertheorien meist an Universitäten blühen, geht es nicht selten auch um Stellenzuschnitte und institutionellen Einfluss. Darum reagieren Politikerinnen wie Renate Künast, Manuela Schwesig oder Heiko Maas so unreflektiert positiv auf den #ausnahmlos-Aufruf. Eine Kopftuchträgerin, die sich als Feministin ausgibt und Unvereinbares scheinbar vereinbart: Das ist einfach zu entzückend. Lieber falschen Konsens als echten Dissens. Von Dissidenz ganz zu schweigen.
Thierry Chervel
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