Im Netz kursiert eine Zahl, die das Geschehen an Silvester in Köln relativieren soll: die vermeintliche Dunkelziffer von Vergewaltigungen auf dem Oktoberfest. Man hört sie auch bei ARD und ZDF. Wieso überprüft das dort keiner?
Silvesternacht in Köln: Der Vergleich mit dem Oktoberfest liegt nur für ideologisierte Betrachter auf der Hand. |
Gottfried Schicht von der Pressestelle des Polizeipräsidiums München verneint. Er verneint deutlich. Er verneint, was seit Tagen im Zusammenhang mit den gewalttätigen Übergriffen von Köln im Netz verbreitet wird: Dass es auf dem Oktoberfest jedes Jahr zehn Vergewaltigungen gäbe, und die Dunkelziffer bei zweihundert Taten liege. Das Netz hat die Zahlen aus einem Artikel der „taz“ des Jahres 2009, der keine Quellen angibt, und nicht aus der Statistik der Polizei. 2008 kam es den Behörden zufolge zu vier Vergewaltigungen, 2009 zu sechs, vorletztes Jahr zu zwei und dieses Jahr zum Glück nur zu einer versuchten Tat. Nein, sagt Schicht, das könne er wirklich ausschließen, die Zahlen zehn und zweihundert seien definitiv falsch.
Mutter aller Kölnrelativierungen
Nirgendwo scheint man es nötig zu haben, die vermeintlichen Zahlen aus München vor Ort zu hinterfragen, offizielle Dunkelziffern, sagt Gottfried Schicht im Präsidium, gibt es auch nicht. Es seien einige Dutzend angezeigte Straftaten aus diesem Bereich – dass auf der Wiesn zweihundert Vergewaltigungen stattfinden könnten, hält er für undenkbar. Und gäbe es eine „offizielle Dunkelziffer“, wäre es ja keine, erklärt Schicht.
Das sieht die ARD allerdings anders. Dort arbeitet die Social-Media-Redakteurin Anna-Mareike Krause mit demselben Narrativ wie Anne Wizorek. Sexismus und Gewalt würden nicht importiert, sie seien längst da. Plakatives Beispiel für die Relativierung ist auch hier das Oktoberfest: „Polizei und Hilfsvereine schätzen die Dunkelziffer auf bis zu zweihundert Sexualstraftaten jährlich – allein auf der Wiesn“, behauptet die ARD-Mitarbeiterin. Wie die Polizei denn wissen sollte, dass es „bis zu zweihundert Sexualstraftaten“ gäbe, wird wohl Krauses Geheimnis bleiben. Wer eine Dunkelziffer schätzt, kann kaum eine Grenze derselben angeben. Auch zusammen mit „Hilfsvereinen“ stellt die Polizei keine derartigen Vermutungen an.
In ihrem Privataccount bei Twitter hat Anna-Mareike Krause allerdings schon lange vor den Beiträgen über Auswüchse beim Oktoberfest getwittert, um die Straftaten von Köln in einen deutschen Rahmen zu setzen, und im Netz damit große Resonanz gefunden. Der Tweet ist so etwas die Mutter aller Kölnrelativierungen mit der Wiesn. In Köln sind mittlerweile rund zweihundert Anzeigen eingegangen, die sich auf Täter aus einer Gruppe von rund tausend Männern beziehen und nicht auf 5,9 Millionen Besucher, wie auf dem Oktoberfest, bei dem es letztes Jahr zwanzig Anzeigen zu Sexualstraftaten gab.
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