Die Erleichterung im politischen Establishment Wiens und Berlins ist so groß, als sei ein brauner Sachertorten-Komet knapp an Europa vorbeigeschrammt. Der hauchdünne Wahlsieg des grünen Professors Alexander Van der Bellen zum neuen Bundespräsidenten Österreichs wird als Triumph der Vernunft über das Ressentiment gefeiert, der europäische Rechtsruck sei endlich einmal gestoppt worden. Die Freude von Grünen, Linken, Sozial- wie Christdemokraten ist gewaltig – und doch ist sie aus drei Gründen verfehlt.
Erstens zeigt das Wahlergebnis in Wien, wie massiv der Rechtsruck Europas inzwischen weite Teile des bürgerlichen Raums erfasst. Wenn bei einer Bundespräsidentenwahl eines so wohlhabenden Landes wie Österreich kein Vertreter der Volksparteien mehr in die Stichwahl gelangt und am Ende sogar 49,7 Prozent der Österreicher den rechtspopulistischen Kandidaten wählen, dann ist das in Wahrheit ein bemerkenswerter Sieg für die Neo-Rechten. Noch vor wenigen Monaten wäre Derartiges für undenkbar gehalten worden. Die Gefolgschaft der Rechtspopulisten wächst und wächst und es schwinden zugleich bei immer größeren Teilen der Bevölkerung die Tabus, Rechtspopulisten in hohe und höchste Ämter zu wählen und die Republiken völlig neu zu definieren.
Die Tabus schmilzen schneller als der Schnee in der Sonne
Zweitens entlarvt das Wahlergebnis eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Es zeigt nicht bloß, wie weit inzwischen die Polarisierung der Gesellschaft reicht. Es demaskiert auch, dass zwischen einem Großteil des Wahlvolkes und den Institutionen des Staates tiefe Entfremdung herrscht. Van der Bellen war der Kandidat des gesamten etablierten Systems. Von Gewerkschaften bis Kirchen, von Wirtschaftsverbänden bis Künstlern, von Intellektuellen bis Umweltschützern reichte die beinahe uniforme Unterstützung der offiziellen Republik.
Wenn dann trotzdem die Hälfte der Bevölkerung eine andere Wahl trifft, dann wirft das ein grelles Licht auf die Akzeptanz der vermeintlich staatstragenden Institutionen. Nicht nur Volksparteien verlieren ihren gesellschaftliche Rückhalt, offenbar werden ganze Systeme wie öffentlich-rechtliche Medien von großen Teilen der Bevölkerung in ihrer jetzigen Form nicht mehr akzeptiert. Wenn die Bindungskraft der Institutionen so dramatisch schwindet, dann dräut der Republik eine innere Entfremdung und eine immer grundsätzlichere Reformagenda von rechts.
Drittens steigt nun die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Bundeskanzler ein Rechtspopulist wird. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache liegt in Umfragen schon jetzt vorne. Ihm kommt das Wahlergebnis gerade recht. Zum einen hat seine Partei gezeigt, wie groß ihr Potenzial wirklich ist. Zum anderen ist die knappe Niederlage seines Parteifreundes Hofer die perfekte Steilvorlage für Strache. So muss man keine Kompromisse in Verantwortung (etwa in der Migrationsdebatte) eingehen und steigert den Erwartungsdruck auf eine große, rechte Wende. Denn beides – einen freiheitlichen Bundespräsidenten und einen freiheitlichen Bundeskanzler – hätten gewiss nicht alle Protestwähler gewollt. In der Vergangenheit war die Macht in Wien vom Volk meist klug verteilt worden. Gab es einen SPÖ-Kanzler, wurde der ÖVP-Kandidat zum Bundespräsidenten gewählt. Und so wird Strache nun die nächste Nationalratswahl (plangemäß 2018) als historisches Wendemanöver inszenieren.
Die rechte Rache heißt Strache
„Den Weg, den wir in den letzten 11 Jahren geebnet haben, kann uns keiner mehr nehmen. Wir haben bereits eine Wende eingeleitet", verkündet Strache nach den knappen Wahlniederlage von Hofer: „Es ist erst der Anfang. Der Anfang eines demokratiepolitischen neuen Zeitalters in Richtung direkter Demokratie und verbindlicher Volksabstimmungen." Strache kündigte auch an, die migrationskritische Linie energisch fortzuführen und die Regierung weiter vor sich herzutreiben: „Wir kämpfen für die Menschen, die sich in ihrem Heimatland entfremdet fühlen und eine neue Qualität der Politik für Österreich wünschen und herbeisehnen. Glück auf!"
Strache sammelt vor allem die Landbevölkerung und männliche Wähler hinter sich. Er wächst zusehends in die Rolle eines neuen Jörg Haider. „HC" – so nennt er sich selber – wurde lange als „Bonsai-Haider", „Billigausgabe" oder „schlechte Raubkopie" abgekanzelt, als einer, der nicht so klug und brillant wie Dr. Jörg Haider wirke, als ein Leichtgewicht und bloßer Zahntechniker ohne Abitur. Von der alleinerziehenden Mutter großgezogen, mit dem rechtsextremen Milieu Tuchfühlung aufgenommen, als Emporkömmling verachtet, von der Wiener Schickeria ausgegrenzt – so schien sein Weg zum Scheitern verurteilt.
In Wahrheit zieht Strache genau aus den Demütigungen seines Lebens eine bemerkenswerte politische Kraft. Ihm gelingt es, die Underdog-Gefühle ganzer Schichten Österreichs auf seine Person zu projizieren. Er personifiziert den Trotz gegen eine sozialdemokratisierte, als arrogant empfundene Republik. Sein Lieblingsfilm ist das schottische Widerstandsheldenepos „Braveheart". Auf die Frage, warum er überhaupt in die Politik gegangen sei, sagt er: „Weil ich im roten Wien aufgewachsen bin." Ihm gelingt damit die Umkehrung der sozialen Bezüge. Menschen von unten – so wie er – müssten heute rechts wählen, um sich zu emanzipieren. Van der Bellen sei hingegen ein Kandidat der Schickeria gewesen, das grüne Schnittlauch auf den Partyhäppchen des linken Establishments. Niederlagen gegen solche Gegner machen ihn nur bissiger. Kurzum: Das etablierte Wien sollte sich nicht zu früh freuen, die rechte Rache heißt Strache.
Dieser Text erschien zuerst auf The European hier
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen