Samstag, 27. Februar 2016

ANFEINDUNGEN DURCH MUSLIMISCHE MIGRANTEN - Hass aus den eigenen Reihen: Schwule Flüchtlinge in Deutschland

Wenn Homosexuelle in ihrer Heimat wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ist das in der Europäischen Union seit 2013 ein Asylgrund. (Foto: Flickr/ Holding Hands by RichardBH CC BY 2.0)

Wenn Homosexuelle in ihrer Heimat wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ist das in der Europäischen Union seit 2013 ein Asylgrund. (Foto: Flickr/ Holding Hands by RichardBH CC BY 2.0)

Beschimpft und ausgegrenzt: In einer Dresdner Unterkunft werden homosexuelle Asylbewerber von muslimischen Migranten drangsaliert. Hilfe kommt nicht nur vom Schwulenverein CSD. Selbst bei Pegida bringen einige Verständnis für die Notlage schwuler Flüchtlinge auf.

Ahmad Suliman neigt seinen Kopf zur Seite. Er setzt seinen Finger auf die Halsschlagader unter der gespannten Haut. Hätte Suliman sich in Syrien offenbart – hätte man ihm hier seinen Kopf vom Körper getrennt. Denn die Terrormiliz IS richtet Schwule in Syrien und im Irak öffentlich hin. Sie köpft sie, steinigt sie. Vor dieser Verfolgung ist der 20-jährige Muslim geflohen, bis nach Dresden, berichtet die dpa. Wo Pegida marschiert. Und wo wieder Steine gegen ihn flogen.

Ahmad Suliman sitzt unter Holzbalken im Dachgeschoss des Dresdner Ausländerrats. In Prohlis, einem Stadtteil, in dem erst einige Tage zuvor Menschen Molotowcocktails auf eine geplante Unterkunft für Flüchtlinge geworfen hatten. Der junge Syrer weiß von den Fremdenfeinden, die hier montags durch die Stadt ziehen. Aber er fühlt sich sicher. Jetzt. Denn die Steine, die sich gegen ihn richteten, kamen nicht aus Händen von Fremdenfeinden. Sondern aus den Händen von anderen Flüchtlingen.

Die anderen Männer schickten Suliman und seine Freunde Rami Ktifan und Yousif Al-Doori aus der Toilettenschlange weg, zu den Frauen. Sie seien ja keine Männer. Sie wurden beschimpft. Wach gehalten. Gepeinigt. Weil sie schwul sind. «Wir sollten für die anderen Männer tanzen, wie Frauen. Wir durften nicht schlafen, manchmal bis 5 Uhr früh», erzählt der Syrer Ktifan. Manchmal flogen Steine. Suliman hat nichts dagegen aufzufallen. Er trägt ein neongrünen Pullover, die Haare an den Seiten kurzgeschoren, der Rest nach oben gestylt. Aber die Grenze des Erträglichen war erreicht.

Schon in ihrer ersten Unterkunft in Deutschland, in Augsburg, waren Suliman, Ktifan und Al-Doori von anderen Geflüchteten drangsaliert worden. Jeden Tag. «Wir haben versucht, es zu verbergen. Aber irgendwann wollten wir auch nicht mehr. Wir wollten frei leben, in Europa», sagt der Iraker Al-Doori. Der feingliedrige 25-Jährige spricht leise, sitzt mit überschlagenen Beinen neben Suliman. Als die drei Asylsuchenden in die Dresdner Zeltstadt verlegt wurden, waren ihre Peiniger auch mit dabei.

Deshalb hat der Dresdner CSD eingegriffen, der Verein hinter dem Christopher Street Day, dem Demonstrationstag der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. CSD-Chef Ronald Zenker holte mit Helfern die schwulen Asylbewerber aus der Dresdner Zeltstadt.

«Das Bündnis „Dresden für alle“ hat uns in einer Augustnacht angerufen», sagt Zenker. Die Flüchtlinge hatten sich ihrer Dolmetscherin anvertraut. Behörden und Verein zogen an einem Strang. Innerhalb von einem Tag brachte der CSD Suliman, seine Freunde Ktifan und Al-Doori und einen weiteren schwulen Flüchtling privat unter. Die ersten vier von vielen, sagt Zenker.

Wenn Homosexuelle in ihrer Heimat wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ist das in der Europäischen Union seit 2013 ein Asylgrund. Das Bundesverwaltungsgericht in Deutschland hatte 1988 ähnlich geurteilt, damals ging es um den Iran. Mindestens 75 Staaten kriminalisieren laut dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSDV) gleichgeschlechtliche Sexualität. Die Todesstrafe droht Homosexuellen im Iran wie auch im Sudan, Jemen und in Saudi-Arabien.

Wie viele Menschen in Deutschland wegen ihrer Homosexualität um Asyl bitten oder Zuflucht erhalten, registriert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht. «Generell erfolgt keine statistische Erfassung von individuellen Asylgründen beim Bundesamt», heißt es dort. Obwohl es in jedem Einzelfall einen Bescheid gebe.

In Berlin jedenfalls wurde kürzlich ein schwuler Flüchtling in seiner Unterkunft geschlagen und in den Arm gebissen. In den anderen Bundesländern sei es schlimmer als in Sachsen, sagt CSD-Chef Zenker. Denn dort gebe es noch keine so gut organisierten Projekte wie in Dresden – dafür aber viele Fragen an ihn. Der Dresdner CSD wird gerade zur sächsischen Koordinierungsstelle ausgebaut. Derzeit betreut der Verein elf schwule Flüchtlinge. «Jeden Tag kommen welche dazu», sagt Zenker.

Zwei der Männer hat Petra Köpping (SPD), Sachsens Ministerin für Gleichstellung und Integration, bei sich zu Hause aufgenommen, gemeinsam mit ihrem Mann. «Weil ich mir wünschen würde, dass auch mir oder meinen Kindern in einer Notlage geholfen wird», sagt sie.

Ahmad Suliman und die beiden anderen wohnen inzwischen in einer Wohnung, die ihnen die Stadt gestellt hat. Heute sitzen sie unter dem Giebel des Dresdner Ausländerrats, weil hier ein Dolmetscher zu finden war. Einer, der keine Vorurteile gegen Schwule hat und, weil er selbst nicht schwul ist, auch keine Angst vor Öffentlichkeit. Homosexualität ist auch in arabischen Familien ein Tabu. Wissen die Eltern von Suliman, Ktifan und Al-Doori Bescheid? Gleichzeitig schnalzen die drei mit ihren Zungen. Nein, nein, nein.

«Schwul», sagt Zenker, sei für manche aus dem arabischen Raum ein dreckiges Wort. «Gay» nennt sich die schwule Community auch im Arabischen. Die anderen sagen eher gleich «Hundesohn», erzählt Yousif Al-Doori. In Deutschland, so hatte er gehofft, müsse er sich nicht verstellen wie im Irak. «Ich musste in meiner Heimat immer einen anderen Gang annehmen, meine Stimme verändern», sagt er. «Ich habe ein Doppelleben geführt, mit zwei Namen und zwei Handynummern.»

Doch in den deutschen Unterkünften holte ihn die Anfeindungen erst einmal wieder ein. Die Angst, die für ihn und andere homosexuelle Asylbewerber in deutschen Unterkünften wieder konkret wird, wabert diffus auch durch die deutsche schwule Szene in Dresden. Die Spaltung zwischen Pro- und Anti-Pegida in Sachsen zieht sich durch Familien.

Und sie zieht sich durch das «Boys». Freundschaften seien hier schon zerbrochen, sagt ein Mann im roten Licht der Schwulenbar in der Dresdner Neustadt. Denn auch Schwule gehen zu Pegida. «Schwul – und trotzdem pro Pegida», sagt er. Ein Widerspruch, der in Dresden keiner ist. Denn so verschieden die Gruppen sein mögen – Pegida eint die «Angst» vor dem Fremden. Sie zieht sich durch alle Schichten und alle Sexualitäten.

Nur: Schwulenfeindlichkeit gibt es nicht nur unter konservativen Muslimen. «Bei Pegida laufen auch Menschen mit, die offen gegen Homosexuelle skandalieren», sagt CSD-Chef Zenker. Frontfrau und Ex-Oberbürgermeisterkandidatin Tatjana Festerling schimpfte schon auf den «Terror der schwul-lesbisch-queeren intersexuellen Minderheit». Zu den Versammlungen kommen auch erkennbar Rechtsextreme. Zu deren Ideologie gehört nicht nur Rassismus, sondern auch Homophobie. Schwule, die mit Pegida marschieren, laufen eben auch mit diesen Menschen mit.

Heute hetze Pegida gegen die Flüchtlinge, morgen könnten es die Schwulen sein, sagt ein Thekengast in der «Boys Bar». Auf der Bühne moderiert Lara Liqueur. Bisexuelle Dragqueen, DJ und Programmierer, ehemalige Dresdner Oberbürgermeisterkandidatin für die satirische «Die Partei». Während des aggressiven Wahlkampfs von Festerling fuhr Lara Liqueur nicht mehr Straßenbahn. «Ich hatte Angst.» Nicht vor verbalen Angriffen – vor körperlichen. Die Stimmung in Dresden kann sich leicht erhitzen.

Von all dem wissen Ahmad Suliman, Rami Ktifan und Yousif Al-Doori nichts. «Von Schwulenfeindlichkeit hier haben wir noch nicht gehört», sagen sie. Sie leben unter ihrem wahren Namen. Bewegen sich, wie sie sich gut damit fühlen. Gehen in Schwulenbars. Doch sie haben erlebt, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. Nach ihrer Flucht aus Syrien und dem Irak lebten sie einige Monate zusammen in Istanbul. Gingen in Schwulenbars.

Bis die türkische Polizei gegen die Gay-Pride-Parade im Juni mit Tränengas und Wasserwerfern vorging. Danach trafen abschätzige Blicke die jungen Männer. Freunde von ihnen wurden geschlagen. «Wir haben uns wieder gefühlt wie in unseren Heimatländern», sagt Rami Ktifan. Sie wären gern geblieben. Und mussten doch gehen. Sie brachen auf nach Deutschland.

Pegida-Chef Lutz Bachmann hat für den ersten Jahrestag der Dresdner Montags-Märsche übrigens den deutsch-türkischen Autor Akif Pirinçci angekündigt. Er ist bekannt für seine schwulen- und migrantenfeindlichen Positionen.

Dennoch: Derzeit dröhnt aus den fremdenfeindlichen Pegida-Reihen die Islam-Ablehnung lauter als die Homophobie. «Jetzt», sagt Markus Ulrich vom LSVD, «sind die Konservativen plötzlich ganz besorgt um Homosexuelle.» Er sieht darin ein Muster: «Wenn es um den Islam geht, will man die eigene Überlegenheit beweisen.» Zum Beispiel, indem man sich als schwulenfreundlich zeigt.

So bringt Pegida noch ein Paradoxon hervor: «Den schwulen Flüchtlingen aus unserem Projekt helfen auch Menschen, die mit Pegida sympathisieren», sagt Zenker. Menschen also, die oft die selbsterdachte Unterscheidung treffen zwischen «guten» und «schlechten» Flüchtlingen. Schwule Flüchtlinge gehören für diese Menschen zu den «guten». Weil sie von Muslimen verfolgt werden.

Zenker hält von dieser Unterscheidung nichts. Dafür hält er von Begegnung viel: «Wir schaffen es so, dass sich auch diese Menschen mit den Flüchtlingen unterhalten – was ihnen sonst, aufgrund ihrer Haltung, verwehrt ist.» Die Deutschen mussten auch erst lernen, dass sie mit Schwulen leben können. Mit Flüchtlingen sei es nicht anders. Die Helfer, die mit Pegida sympathisieren, möchten nicht mit der Presse sprechen. Mit den Flüchtlingen schon.

Der Grund, seine Heimat zu verlassen, sagt Ahmad Suliman, war sein Schwulsein. Der Krieg war nur der Anlass, der letzte Auslöser. Eines hatten die Freunde noch vor ihrer Ankunft in Deutschland vereinbart: Wenn es ihnen hier nicht gut geht, ziehen sie weiter.

In Tunesien steht auf gleichgeschlechtlichen Sex Haft von bis zu drei Jahren. Auch in Marokko sind homosexuelle Handlungen strafbar. In Syrien ist gleichgeschlechtlicher Sex illegal. Im Libanon gibt es zwar eine halbwegs sichtbare Schwulen- und Lesbenszene, dennoch kam es schon wegen des «Verdachts homosexueller Handlungen» zu Verhaftungen.

In Ägypten ist Homosexualität juristisch nicht verboten, Verhaftungen und Medien-Kampagnen gibt es dennoch. Auch im Irak steht Homosexualität nicht offiziell unter Strafe, allerdings gibt es immer wieder tödliche Übergriffe auf Schwule. Das gilt im Übrigen für die ganze Region. Die Terrormiliz IS richtet Schwule in Syrien und im Irak öffentlich hin. Auch im Jemen droht ihnen die Todesstrafe.

In den Westbalkan-Staaten sind dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zufolge Roma, aber auch Lesben, Schwule oder Transgender Diskriminierung, Hass und Gewalt ausgesetzt. Der LSVD kritisiert zudem, dass Ghana und Senegal weiter als sichere Herkunftsstaaten gelten, obwohl dort laut dem Verband einvernehmliche homosexuelle Beziehungen unter Erwachsenen unter Strafe stehen.

Quelle: http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2015/10/519818/hass-aus-den-eigenen-reihen-schwule-fluechtlinge-in-deutschland/

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