Deutschland sollte seine Grenzen schließen und an alle muslimischen Länder der Welt appellieren, Flüchtlinge aufzunehmen. Syrer sind keine Frischzellenkur für darbende deutsche Gemeinden. Von Henryk M. Broder
Altena liegt etwa 100 Kilometer östlich von Düsseldorf, 15 Kilometer nördlich von Lüdenscheid und ebenfalls 15 Kilometer südlich von Iserlohn. Mitten im Sauerland also. Aber das ist nicht das Problem. Seit 1970 hat die Stadt fast die Hälfte ihrer Einwohner verloren, deren Zahl ist von 32.000 auf 17.000 zurückgegangen.
Jetzt soll der Verlust mithilfe von Flüchtlingen aufgefangen werden. Für die Serie "Wie viele Flüchtlinge verträgt meine Stadt?" ist ein Reporter des ZDF-"Länderspiegel" nach Altena (Link: http://www.welt.de/150224480) gereist. Dort hat der Bürgermeister der Gemeinde, Andreas Hollstein, mitten auf dem Wochenmarkt einen Info-Stand aufgebaut.
Er erklärt, warum die Stadt 100 Flüchtlinge mehr aufnehmen will, als sie muss. "Wir haben sehr viele Menschen verloren und haben dadurch natürlich viele Leerstände und konnten damit Menschen aufnehmen. Wir haben gesagt, okay, wenn wir die Wohnungen haben, warum sollen wir nicht mit den Menschen etwas versuchen und die Menschen dann hier nicht nur willkommen heißen, sondern diese Menschen hier integrieren."
Derzeit leben 490 Flüchtlinge in Altena, die Hälfte von ihnen unter 25, "junge Leute, die das Schrumpfen der Stadt mit aufhalten sollen", sagt der ZDF-Reporter. Viele in Altena trügen das mit. "Es ist eine schöne Chance für unsere Schulen und Kindergärten und Belebung von unserem normalen Umfeld", sagt eine Einwohnerin mittleren Alters.
Modell Altena?
"Ich find' das schön", meint eine junge Frau. "Ich finde das toll, dass man sich für solche Leute einsetzt, und daher habe ich nichts dagegen." Die Flüchtlinge würden "dezentral in Wohnungen untergebracht, das schafft gleich Nähe zum deutschen Nachbarn". Freiwillige "Kümmerer" übernehmen die Betreuung, erklären, "wie das Leben in Deutschland geht". Dazu gehört auch, "wie eine Rotlichtlampe funktioniert".
Vier "Jungs aus Afghanistan" renovieren zusammen mit einem deutschen Helfer ein Haus, "in dem bald Flüchtlinge leben sollen". Dafür bekommt jeder einen Euro die Stunde. Andreas Hollstein, der Bürgermeister, sieht Altena auf dem richtigen Weg. "Wir haben geburtenstarke Jahrgänge, die auf die Rente zugehen, dann fehlen hier die Facharbeiter, und im Handwerk werden Menschen fehlen und auch in der Dienstleistung, und wir können sehr froh sein, wenn wir in Deutschland und in Altena diese Lücken im Rentensystem und auch im Sozialsystem mit gut integrierten Flüchtlingen schließen können."
Es ist in der Tat schön, dass die Menschen in Altena, wie überall in Deutschland, helfen wollen. Die Frage ist nur: Wem wollen sie helfen? Den Flüchtlingen oder sich selbst? Können Flüchtlinge eine Art Frischzellenkur für darbende Gemeinden sein? Geht es um Mitgefühl, um praktizierte Nächstenliebe oder um eine philanthropisch verbrämte Geschäftsidee?
Wenn die Flüchtlinge, die demnächst in das von Flüchtlingen renovierte Haus einziehen, ihrerseits dazu angehalten werden, weitere Häuser zu renovieren, in die ebenfalls Flüchtlinge einziehen sollen, dann wird Altena in kurzer Zeit runderneuert und der Leerstand beseitigt sein.
Wenn Flüchtlinge Mütter, Großväter und Bräute nachholen
Aber es wird kaum noch jemand da sein, der die Steuerleistung aufbringt, um all die "Integrationsmaßnahmen" zu finanzieren. Spontane Hilfsbereitschaft kann auch sehr kurzsichtig sein. Mit beispielhafter Offenheit gibt der Bürgermeister von Altena zu, dass die Stadt Facharbeiter, Handwerker und Menschen "in der Dienstleistung" braucht, damit die Lücken im Renten- und Sozialsystem geschlossen werden.
Was passiert aber, wenn einer der jungen, arbeitsfähigen und auch arbeitswilligen Männer nicht nur seine Frau und seine Kinder, sondern auch seine Eltern und Großeltern nachholen möchte? Werden die Bürger von Altena das auch "schön" und "toll" und eine "Belebung von unserem normalen Umfeld" finden? Oder wird ein Sachbearbeiter der Stadtverwaltung von Altena dem jungen Mann sagen: "Nun übertreib mal nicht. Wir haben dich aufgenommen, damit du hilfst, die Lücken im Renten- und Sozialsystem zu schließen, nicht um sie noch größer zu machen!"
Das geht nicht. Entweder man hilft aus humanitären Gründen (und aus schlechtem Gewissen, weil man es versäumt hat, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass keine Massenflucht einsetzt), dann dürfen Kosten keine Rolle spielen, dann darf es in der Tat keine "Obergrenze" geben, oder man holt gezielt Facharbeiter, Handwerker und Dienstleister ins Land, die man zuhauf in Spanien und in Griechenland findet, wo die Arbeitslosigkeit, je nach Altersgruppe, zwischen 25 und 50 Prozent liegt. Diese Menschen dürften auch leichter zu integrieren sein als "Schutzsuchende", denen man erst einmal die Grundregeln einer Gesellschaft erklären muss, in der es nicht auf den Glauben, sondern auf die Gleichheit vor dem Gesetz ankommt.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass "Hilfsbereitschaft" mit demselben Buchstaben anfängt wie "Hysterie" und "Heuchelei". Die Unterscheidung zwischen "Wirtschaftsflüchtlingen", die man abschieben will, und Asylsuchenden, die eine Chance bekommen sollen, ist ebenso willkürlich wie die zwischen einem "sicheren" und einem "unsicheren" Herkunftsland.
Weil Saudi-Arabien als ein sicheres Herkunftsland gilt, hat es die Bundesregierung bislang unterlassen, Raif Badawi (Link: http://www.welt.de/themen/raif-badawi/) Asyl anzubieten, jenem Blogger, der wegen "Beleidigung des Islams" zu 1000 Stockhieben und zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er gilt nicht als ein politisch Verfolgter. Und dieselbe Kanzlerin, die eisern an ihrem Kurs der offenen Grenzen festhält, macht sich zur Fürsprecherin einer Drehtür-Politik. "Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass ihr auch wieder, mit dem Wissen, was ihr jetzt bei uns bekommen habt, in eure Heimat zurückgeht", machte sie vor Kurzem den "Geflüchteten" klar.
Die sollen sich also zuerst integrieren, um dann in ihre Heimat abgeschoben zu werden. Das ist eine extrem attraktive "Bleibeperspektive". Die paar Jahre zwischen ihrer Ankunft in einer Erstaufnahmeeinrichtung und ihrer Abschiebung campieren sie in Turnhallen, ehemaligen Baumärkten und Container-Siedlungen.
Während Bundesregierung und Bundestag ein Gesetz nach dem anderen beschließen, um die Lage, die ihnen längst entglitten ist, in den Griff zu bekommen und die Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Tausende von "Entscheidern" in Schnellkursen ausbildet, die von Montagfrüh bis Freitagabend Gott mit Stempelkissen spielen. Derweil der deutsche Innenminister nach Afghanistan fliegt und dort an die jungen Menschen appelliert, im Lande zu bleiben und beim Wiederaufbau zu helfen, statt sich auf den weiten Weg nach Deutschland zu machen.
Ratschlag an die Kanzlerin
Das alles ist nicht mehr absurd, es ist nur noch irre, unverantwortlich und in einem Maße zynisch, dass man staunen muss, dass nicht jeden Tag jemand Amok läuft.
Was muten wir eigentlich den Flüchtlingen zu, nur damit wir uns damit brüsten können, Weltmeister der Herzen zu sein? Besser als die Franzosen und die Schweden und auf einer viel höheren moralischen Umlaufbahn als die Polen und die Tschechen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Wir aber nehmen sie auf und bringen sie in "Einrichtungen" unter, die nur aus Gründen, die in der Vergangenheit liegen, nicht "Lager" genannt werden. Die Zustände in diesen Lagern sind "problematisch". Frauen, Kinder, Schwule und Christen müssen besonders geschützt oder separat untergebracht werden; sie sind es, die den Preis für unsere grenzenlose Gastfreundschaft bezahlen.
Es ist nicht mein Job, mir den Kopf der Kanzlerin zu zerbrechen. Ich will es ausnahmsweise tun, weil ich es unerträglich finde zuzusehen, wohin die Reise geht.
Zweierlei müsste getan werden, sofort. Erstens: Die Grenzen müssten geschlossen werden. Wer drin ist, darf bleiben, wer draußen ist, bleibt draußen.
Wenn man sich wirklich um die mehr als eine Million Asylbewerber, Flüchtlinge oder Schutzsuchende kümmern will, die bereits im Land sind, sollte man dafür sorgen, dass die Zahl nicht größer wird. Jedes Schulkind, das mit seinen Hausaufgaben im Rückstand ist, muss erst einmal diese abarbeiten, bevor ihm neue aufgelegt werden. Nicht nur die Sachbearbeiter im BAMF brechen unter der Last der Anträge zusammen.
Zweitens: Die Vorstellung, man könnte die Hälfte oder zwei Drittel der Zugewanderten dorthin zurückschicken, woher sie gekommen sind, oder in ein Land abschieben, das bereit wäre, sie aufzunehmen, ist gemein, teuer und nicht praktikabel. Es würde Jahre dauern und Milliarden kosten, die Menschen ohne Bleibeperspektive "auszuschaffen", wie die Schweizer diesen Vorgang nennen.
Abgesehen davon, dass es mehr als unanständig ist, Menschen anzulocken, sie durch die Mühlen der Bürokratie zu jagen und dann zurückzuschicken wie ein Paket von Zalando. Das geht nicht.
Mit der Grenzschließung und dem Verzicht auf Abschiebungen könnte das Problem überschaubar gemacht werden. Die Bürokratie wäre entlastet, die Politik könnte durchatmen und in Ruhe über weitere Schritte nachdenken. Vielleicht käme die Kanzlerin dann auf die Idee, die Vertreter der 21 Staaten der Arabischen Liga zu sich ins Kanzleramt einzuladen und mit ihnen ein wenig zu plaudern, so wie sie gerade mit George Clooney (Link: http://www.welt.de/152198973) geplaudert hat. "Meine Herren", würde die Kanzlerin sagen, denn es wären ganz bestimmt keine Damen dabei, "darf ich Sie in aller Freundschaft darauf hinweisen, dass bis jetzt nur zwei von Ihnen, Jordanien und der Libanon, eine wesentliche Anzahl von Flüchtlingen aufgenommen haben?
Wo bleibt die islamische Solidarität?
Saudi-Arabien hat angeboten, den Bau von 200 Moscheen in Deutschland beziehungsweise Europa zu finanzieren, aber wir halten das für keinen geeigneten Beitrag zur Beilegung der Flüchtlingskrise. Viel besser wäre es, wenn die saudi-arabische Regierung die Zeltstädte rund um Mekka, die für Pilger gebaut wurden und elf Monate im Jahr leer stehen, für die Flüchtlinge öffnen würde. Der Islam ist doch nicht nur eine Religion des Friedens, er ist auch eine Religion der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe, oder irre ich mich?"
Als Nächstes sollte die Kanzlerin die Vertreter der Organisation für islamische Zusammenarbeit zu sich bitten, in der 56 Staaten organisiert sind, "in denen der Islam (Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Islam) Staatsreligion, Religion der Bevölkerungsmehrheit oder Religion einer nennenswerten Minderheit ist" (Wikipedia), eine ähnliche Rede halten und dabei darauf hinweisen, dass die Türkei immerhin über zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat.
"Wo bleibt die islamische Solidarität?", könnte die Kanzlerin fragen, "warum muten Sie Ihren Brüdern und Schwestern die weite und gefährliche Reise nach Europa zu, statt ihnen eine Zuflucht zu bieten? Sind Abu Dhabi, Baku, Islamabad, Marrakesch und Taschkent nicht schöner als Altena im Sauerland?"
Quelle: http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article152256557/Wo-bleibt-die-islamische-Solidaritaet-fuer-Fluechtlinge.html
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