Thomas Strothotte, der Präsident der „Kühne Logistics University“ in Hamburg, hat einen Vorschlag zur wechselseitigen Integration von Deutschen und Flüchtlingen gemacht: Nicht nur sollten jetzt alle Flüchtlingskinder aus dem Nahen Osten Deutsch lernen, sondern auch alle deutschsprachigen Schüler Arabisch. Bis zum Abitur solle Arabisch verpflichtend werden. Schon im Kindergarten könne „geradezu spielend“ damit begonnen werden. Später soll die Klassensprache Englisch sein, mit der Begründung, das könnten weder die Deutschen noch die Flüchtlinge, weswegen sie unter diesen Umständen „auf Augenhöhe“ begännen. In all dem liege die Anerkennung, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Wären statt des Englischen das Deutsche und das Arabische sogar gleichberechtigte Unterrichtssprachen, würden die Kinder sich als künftige Partner der Wandlungsprozesse im Nahen Osten empfehlen.
Man könnte diesen Vorschlag auf sich beruhen lassen. Strothotte, der von manchen Medien als Bildungsexperte bezeichnet wird, ist ein Spezialist für Computergraphik. Der Titel „Universitätspräsident“ ist für seine derzeitige Tätigkeit eine sehr großzügige Beschreibung: An der Logistikfachhochschule unterrichten vier Voll- und dreizehn außerordentliche Professoren knapp zweihundert Studenten. Was er über Schulen weiß, ist unklar. Vorstellungen wie die, wenn man zwei Gruppen nur in einer Sprache unterrichte, die beide nicht können, befänden sie sich auf Augenhöhe, sind unter Gesichtspunkten familiärer und sozioökonomischer Ungleichheit abenteuerlich. Der Mann weiß gar nicht, wovon er redet; die Redaktion der „Zeit“, die ihn gedruckt hat, müsste es besser wissen.Signifikante Ahnungslosigkeit
Dennoch sind solche Texte signifikant: in ihrer Ahnungslosigkeit. Dass es eine verpflichtende Fremdsprache bis zum Abitur in Deutschland trotz der globalen Wandlungsprozesse hin zum Englischen, Chinesischen oder Spanischen bislang nicht gibt, können wir dabei beiseitelassen. Der Universitätspräsident will Arabisch ja am liebsten sogar zur Unterrichtssprache machen, es soll gar keine Fremdsprache sein
Darüber, dass die größte Einwanderergruppe hierzulande nach wie vor die Türken sind, sei ebenfalls hinweggegangen. Und auch die Rückfrage, inwiefern denn Arabischstunden zu Kenntnissen des Wandels im Nahen Osten führen würden, ersparen wir dem Autor. Es sei nur der Hinweis erlaubt, dass die meisten Englischsprechenden die Wandlungsprozesse in Amerika oder Großbritannien nicht verstehen und dass die meisten instruktiven Texte über den Wandel im Nahen Osten wiederum auf Englisch und Französisch verfasst sind.
Doch das sind nur nebensächliche Einreden. Genauso nebensächlich wie die Frage, mit welchen Reaktionen der Informatiker, der den Vorschlag gemacht hat, bei den Eltern von Gymnasiasten rechnet, denen Pflichtarabisch verordnet werden soll. Oder welche Politiker mit Wiederwahlbedürfnissen er für die Durchsetzung seiner Anerkennungsphantasie vorsieht.
Eine undurchführbare Idee
Viel wichtiger sind ein paar Managementprobleme, die sich aufdrängen. Versuchen wir es mit ganz konservativen Berechnungen über den Daumen: Sollte Arabisch gleichberechtigte Unterrichtssprache werden, müssten zunächst einmal mehr als 300.000 Lehrer an Gymnasien in dieser Sprache Kenntnisse erlangen, die es ihnen ermöglichten, in ihr Biologie-, Physik- oder Geschichtsstunden zu geben. Dasselbe gälte für Englisch.
Aber selbst wenn es dermaleinst nur so viele Arabischlehrer geben soll, wie derzeit Deutschlehrer an Gymnasien, läge der Bedarf mit Sicherheit im fünfstelligen Bereich. Es gibt gut dreitausend Gymnasien in Deutschland, bei vierzügigen Klassenstufen und G8 – also bei sehr vorsichtigem Überschlag – machte das 32 Arabischklassen pro Schule, was auf mindestens acht bis zehn Arabischlehrer hinausliefe: also gut 30000 für das ganze Land. Abendschulen, Gesamtschulen, Realschulen und dergleichen sind in diese Rechnung noch gar nicht einbezogen, die Träumerei vom spielend erworbenen Arabisch im Kindergarten auch noch nicht.
Wie viele Lehrstühle für Arabisch als Fremdsprache an den Universitäten, denkt der Universitätspräsident, wären dafür nötig? Von den unterstützenden Lehrstühlen für Didaktik, arabische Geschichte, Literatur, Linguistik und so weiter ganz zu schweigen. Mit wem und in welchem Zeitraum will er sie besetzen? Bei einer Quote von einer Professur auf sechzig Studenten läge der Bedarf bei fünfhundert Professuren. Und wie viele Studierende würden sich, wenn alle diese Lehrstühle in zwanzig Jahren besetzt wären, in die entsprechenden Studiengänge einschreiben? Oder denkt Strothotte an eine riesige Umschulung von Latein-, Griechisch-, Französisch- und Sportlehrern?
Unterwerfung des Verstandes unter das Drauflosreden
Auch für diesen Fall gälte, dass zuvor noch diskutiert werden müsste, wie sich die Erweiterung der gymnasialen Stundentafel (wegen Integration und Nahostkompetenz) zu den ergänzenden Vorschlägen von Wirtschaftsunterricht (wegen Finanzkrise), Programmierunterricht (wegen digitaler Revolution), Gesundheits- und Ernährungsunterricht (wegen Diabetes) sowie mehr mathematischer und naturwissenschaftlicher Erziehung (wegen Standortsicherung) verhält, die ja ebenfalls mit äußerst wertvollen Zweckbeschreibungen arbeiten.
Die Flüchtlingsdebatte setzt inzwischen jede Art von freihändigem, durch keine Lektüre, Forschung, empirische Erfahrung oder auch nur durch zweites Nachdenken gebremstem Meinen frei. Die Wirklichkeit verschwindet hinter Phrasen („Augenhöhe“, „Kinder als wirtschaftliche, kulturelle und politische Partner in Transformationsprozessen“). Man kann einem Computergraphiker nicht vorwerfen, dass er nichts von Schulen versteht. Aber dass der Präsident einer Hochschule für Logistik auf die Frage, wie man gesellschaftlich von A nach B kommt, im Grunde die Antwort gibt: „durch Zauberei“, ist beklagenswert.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/universitaetspraesident-fuer-pflichtfach-arabisch-14052323.html#GEPC;s3
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